Wie aber kann dann ein Erwerbsleben in einer hochtechnologisch
bestimmten und automatisierten Industrie aussehen, in der Menschen doch gar
nicht mehr gebraucht werden, zumindest nicht in der Produktion? Und eigentlich
auch nicht mehr so richtig beim „Vordenken“. Viele Weiterentwicklungen sind
mehr oder minder zwangsläufig. Und wie soll die Dienstleistung in unserer
angeblichen Dienstleistungsgesellschaft (Womit zur Zeit natürlich die
Finanzdienstleistung gemeint ist, da die so wundebare Zuwachsraten beschert,
allerding ohne Mehrwert.) aussehen? Putzen wir uns alle gegenseitig die Schuhe?
Oder macht das die „Unterschicht“ der Ungelernten für die „Elite“? Und wer ist
das nun wieder genau?
Sucht vielleicht deshalb niemand wirklich nach alternativen,
umwelt- und ressourcenschonenden Lebens- und Produktionsweisen, weil sich dann
niemand mehr ein geeignetes Erwerbsleben vorstellen kann? Wie also sollte in
einer utopischen, sauberen Welt der „Broterwerb“ aussehen?
Noch deutlicher gesagt:
Raumschiff Enterprise könnte Realität werden: Produktion ist
gleich Manipulation der Werkstoffe auf atomarer Ebene, alles ist aus allem
herstellbar, ohne Müll. Aber was macht dann das Erwerbsleben aus?
Keine Rohstoffsuche und –ausbeutung mehr nötig; aber was
macht dann das Erwerbsleben aus?
Energiegewinnung direkt aus der Sonne; aber was macht dann das
Erwerbsleben aus?
Noch einmal: Das alles ist keine „Preisfrage“; hier kann
nichts durch Verlagerung in Billiglohnländer gelöst werden. Es kann auch nichts
erobert oder beherrscht werden. Es kommt nicht mehr darauf an, irgendwelche
Rohstoffquellen zu beherrschen. Es kann auch nichts mit Geld geregelt werden.
Eine „Finanzindustrie“ ersetzt keine notwendige Wertschöpfung und keine
notwendige, globale Diversifizierung. Und die Bildung kann hier auch nicht
helfen, denn wir sind nun einmal nicht alle „Nanotechnologen“, genausowenig wie
wir in den letzten drei Jahrzehnten alle „IT-Manager“ und „Techniker“ oder
„Mathematiker“ geworden sind.
Nun, dann werden wir eben alle wieder Bauern, ja
„Graswurzler“. Wir drehen einfach das Rad so umundbei 10.000 Jahre zurück, vor
die erste Stadt. Denn die Stadt steht für Differenzierung der Arbeit,
Geldwirtschaft und stark ausdifferenzierte Gesellschaften. Denkbar wäre das
durchaus. Nur fliegen wir dann niemals zum Mars und machten auch niemals noch
ganz andere Erfahrungen und Entdeckungen. Das liegt einfach nicht in der Natur
des Menschen. Wir wären auch sonst schon lange nicht mehr da.
Ein weiterer Blick auf „die erste Stadt“ macht aber auch
dies deutlich: Arbeitsteilung war und ist bis zu einem gewissen Grad
zwangsläufig, zumindest folgerichtig (Die Kupferverhütter in der Nähe der
Erzvorkommen machten nur das, daher brauchte es Bauern zur Versorgung und Weber
für die Kleidung, die wiederum ja auch nichts weiter machten als Weben). Für
kleine Gemeinschaften von Selbstversorgern macht technische, geistige und
gesellschaftliche Weiterentwicklung fast keinen Sinn, ja würde stören. Denn der
Tag hat nun einmal nur 24 Stunden. Für einen „Alles-Selbst-Machen-Wollenden“
ist das definitiv zu kurz.
Was keineswegs zwangsläufig war und ist, sind die
gesellschaftlichen Strukturen und Denkweisen, die parralel dazu entstanden
sind. Sklavenhaltergesellschaften waren und sind zu keiner Zeit lebensfähig.
Sie waren und sind leistungsfeindlich, unproduktiv und fortschrittsbehindernd.
Das einzige, das wir Menschen tatsächlich beeinflussen und
kontrolliert entwickeln konnten und können, das sind wir selbst. Wir können nur
uns selbst beherrschen. Die Annahme, wie wären an der Spitze irgendeiner Kette
oder hätten die Natur „gezähmt“ ist nichts weiter als blanker Unsinn. Nichts
als Ausdruck maßloser Selbstüberschätzung. Nichts als ein Merkmal von vielen der
aktuellen bürgerlichen Klamaukpolitik.
Mehrwert und Leistung und Beweglichkeit und Innovation und
Fortschritt gehören in den Vordergrund gestellt. Das ist durchaus antikapitalistisch
und damit antibürgerlich, denn Kapitalismus ist nichts weiter als eine
Reinkarnation, ein Fortschreiben des Feudalismus, der leistungsfeindlich auf
Ausnutzung behaupteter Vorrechte und als unabdingbar deklarierter
Voraussetzungen beruht. „So lange die Autos nicht mit Wasser laufen, machen wir
weiter wie bisher“. Nun, tatsächlich könnten die Autos längst damit laufen,
nämlich mit Wasserstoff in Brennstoffzellen zum Beispiel, aber das wollen wir
ja nicht. Damit hätten wir zwar Vorteile, ja vielleicht sogar neue tolle
Geschäftsmöglichkeiten, aber es würde alle gültigen gesellschaftlichen
Strukturen eventuell auf den Kopf stellen.
Gleiches gilt für Herrschaftsstrukturen: die sind
leistungsfeindlich und dienen nur der Bewahrung vorhandener Positionen. Sie
sind untauglich für Veränderung – und Verbesserung ist auch nichts weiter als
Veränderung.
Es geht im wesentlichen nur darum, gesellschaftliche und geistige
Flexibilität und Zutrauen zu eigenen Möglichkeiten zu gewinnen. So wie vor den
besagten 10.000 Jahren die Menschen eine aus ihrer Sicht sinnvolle Veränderung
ihres Verhaltens vorgenommen haben, und das haben sie in vollem Bewußtsein
getan.
Industrielle Arbeit war immer und ist auch weiterhin im
wesentlichen Anlerntätigkeit. Die Ausbildung hilft dabei (bei der Dauer des
Anlernens und bei der beruflichen Weiterentwicklung, sie kann, muß aber nicht,
für „höhere Aufgaben“ qualifizieren). Daraus folgt, daß auch der „Ungelernte“
hier weiterhin Arbeit findet, wichtig sind persönliche und geistige Fähigkeiten
des einzelnen. Und vor allem ist es die Erkenntnis, sich fortwährend
weiterentwickeln zu wollen. Wenn die Welt sich schnell dreht, nun dann drehen
wir uns eben mit. Bildung ist damit kein Einstiegsfaktor und Positionsgarant mehr
wie für die aussterbende bürgerliche Art, sie ist fortlaufende Aufgabe.
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, warum ich vor der Zukunft
Angst haben sollte. Wer hier und heute vor Ungelernten Wanderarbeitern warnt,
hat im Grunde nur Angst davor, die könnten dazulernen und die könnten bessere
Leistungen erbringen. Egal wie hochtechnisch die industrielle Produktion auch
werden mag, es gibt darin nichts, was nicht erlernt werden könnte.
Immer daran denken: „Wer keine Arbeit hat, der macht sich
welche.“ Und so werden die „Schornsteine weiter rauchen“. Der heute so
hochgelobte Effizienzgedanke meint doch nur eines: alles haben wollen und
nichts bezahlen. Das wäre zwar 100% effizient, aber Wirtschaften ist es nicht.
Denn es fehlt der Mehrwert, es fehlt die ganze Wertschöpfungskette. Und so
erhält die alte Weisheit „Was nichts kostet, taugt nichts“ eine ganz neue
Bedeutung.
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im Februar 2013
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