Montag, 1. April 2013

Mehrwert und Erwerbsleben

Der Sinn allen Wirtschaftens, der Sinn des Erwerbslebens ist das Schaffen von Mehrwert, auch in der Form des Arbeits­lohnes: Mehrwert für das eigene Leben und das der Kinder. Der Sinn des bürgerlichen Erwerbslebens dagegen ist der Raubzug, der Diebstahl: das ist das „Umverteilen“, das Abluchsen, das Abpressen, ohne daß dabei ein Mehrwert geschaffen wird. Ausdruck findet dies insbesondere in der sogenannten Finanzindustrie, die prinzipiell schon keinen Mehrwert schaffen kann, denn Geld kann kein Geld schöpfen; auch nicht im vollautomatisierten Computerhandel, der nur die neue Form eines alten Märchens ist: das Märchen vom Schlaraffenland. Auch mag es sein, daß derartiges bürgerliches Wirtschaften im Menschen „drinsteckt“. Gleichwohl muß niemand das in einer organisierten Gemeinschaft als gottgegeben hinnehmen.Ähnliches gilt für die Hochtechnologie, insbesondere in der Werkstofftechnologie auf Basis von Nanotechniken, die das gesamte gewohnte Bild „Rohstoffsuche und -gewinnung, Verarbeitung zu Vorprodukten, Produktion und Verbrauch“ verändert. Verbrauch ist dabei besonders zu beachten, da es dieses Ende einer Wertschöpfungskette tatsächlich ja gar nicht gibt. Die „Reste“ müssen weiter verwendet werden, sonst ist die ganze Sache recht schnell am Ende. Wichtig aber hier ist, daß die „Führerschaft“ nur noch von geistigen Leistungen abhängt. Und die können jederzeit und überall entstehen. Da gibt es nichts zu regeln. „Erfindergeist“ als „Sicherung von Vorsprung und Wirtschaft“ kennt keine Grenzen und läßt sich nicht reglementieren; also läßt sich auch keine Vormachtstellung erringen. Und überhaupt: Wozu sollte die gut sein? Muß man dann nichts mehr leisten und kann man sich dann „wieder hinlegen“
Wie aber kann dann ein Erwerbsleben in einer hochtechnologisch bestimmten und automatisierten Industrie aussehen, in der Menschen doch gar nicht mehr gebraucht werden, zumindest nicht in der Produktion? Und eigentlich auch nicht mehr so richtig beim „Vordenken“. Viele Weiterentwicklungen sind mehr oder minder zwangsläufig. Und wie soll die Dienst­leistung in unserer angeblichen Dienstleistungsgesellschaft (Womit zur Zeit natürlich die Finanzdienstleistung gemeint ist, da die so wundebare Zuwachsraten beschert, allerding ohne Mehrwert.) aussehen? Putzen wir uns alle gegenseitig die Schuhe? Oder macht das die „Unterschicht“ der Ungelernten für die „Elite“? Und wer ist das nun wieder genau?
Sucht vielleicht deshalb niemand wirklich nach alternativen, umwelt- und ressourcenschonenden Lebens- und Produk­tionsweisen, weil sich dann niemand mehr ein geeignetes Erwerbsleben vorstellen kann? Wie also sollte in einer utopischen, sauberen Welt der „Broterwerb“ aussehen?
Noch deutlicher gesagt:
Raumschiff Enterprise könnte Realität werden: Produktion ist gleich Manipulation der Werkstoffe auf atomarer Ebene, alles ist aus allem herstellbar, ohne Müll. Aber was macht dann das Erwerbsleben aus?
Keine Rohstoffsuche und –ausbeutung mehr nötig; aber was macht dann das Erwerbsleben aus?
Energiegewinnung direkt aus der Sonne; aber was macht dann das Erwerbsleben aus?
Noch einmal: Das alles ist keine „Preisfrage“; hier kann nichts durch Verlagerung in Billiglohnländer gelöst werden. Es kann auch nichts erobert oder beherrscht werden. Es kommt nicht mehr darauf an, irgendwelche Rohstoffquellen zu beherrschen. Es kann auch nichts mit Geld geregelt werden. Eine „Finanzindustrie“ ersetzt keine notwendige Wert­schöpfung und keine notwendige, globale Diversifizierung. Und die Bildung kann hier auch nicht helfen, denn wir sind nun einmal nicht alle „Nanotechnologen“, genausowenig wie wir in den letzten drei Jahrzehnten alle „IT-Manager“ und „Techniker“ oder „Mathematiker“ geworden sind.
Nun, dann werden wir eben alle wieder Bauern, ja „Graswurzler“. Wir drehen einfach das Rad so umundbei 10.000 Jahre zurück, vor die erste Stadt. Denn die Stadt steht für Differenzierung der Arbeit, Geldwirtschaft und stark ausdifferenzierte Gesellschaften. Denkbar wäre das durchaus. Nur fliegen wir dann niemals zum Mars und machten auch niemals noch ganz andere Erfahrungen und Entdeckungen. Das liegt einfach nicht in der Natur des Menschen. Wir wären auch sonst schon lange nicht mehr da.
Ein weiterer Blick auf „die erste Stadt“ macht aber auch dies deutlich: Arbeitsteilung war und ist bis zu einem gewissen Grad zwangsläufig, zumindest folgerichtig (Die Kupferverhütter in der Nähe der Erzvorkommen machten nur das, daher brauchte es Bauern zur Versorgung und Weber für die Kleidung, die wiederum ja auch nichts weiter machten als Weben). Für kleine Gemeinschaften von Selbstversorgern macht technische, geistige und gesellschaftliche Weiterentwicklung fast keinen Sinn, ja würde stören. Denn der Tag hat nun einmal nur 24 Stunden. Für einen „Alles-Selbst-Machen-Wollenden“ ist das definitiv zu kurz.
Was keineswegs zwangsläufig war und ist, sind die gesellschaftlichen Strukturen und Denkweisen, die parralel dazu entstanden sind. Sklavenhaltergesellschaften waren und sind zu keiner Zeit lebensfähig. Sie waren und sind leistungs­feindlich, unproduktiv und fortschrittsbehindernd.
Das einzige, das wir Menschen tatsächlich beeinflussen und kontrolliert entwickeln konnten und können, das sind wir selbst. Wir können nur uns selbst beherrschen. Die Annahme, wie wären an der Spitze irgendeiner Kette oder hätten die Natur „gezähmt“ ist nichts weiter als blanker Unsinn. Nichts als Ausdruck maßloser Selbstüberschätzung. Nichts als ein Merkmal von vielen der aktuellen bürgerlichen Klamaukpolitik.
Mehrwert und Leistung und Beweglichkeit und Innovation und Fortschritt gehören in den Vordergrund gestellt. Das ist durchaus antikapitalistisch und damit antibürgerlich, denn Kapitalismus ist nichts weiter als eine Reinkarnation, ein Fortschreiben des Feudalismus, der leistungsfeindlich auf Ausnutzung behaupteter Vorrechte und als unabdingbar deklarierter Voraussetzungen beruht. „So lange die Autos nicht mit Wasser laufen, machen wir weiter wie bisher“. Nun, tatsächlich könnten die Autos längst damit laufen, nämlich mit Wasserstoff in Brennstoffzellen zum Beispiel, aber das wollen wir ja nicht. Damit hätten wir zwar Vorteile, ja vielleicht sogar neue tolle Geschäftsmöglichkeiten, aber es würde alle gültigen gesellschaftlichen Strukturen eventuell auf den Kopf stellen.
Gleiches gilt für Herrschaftsstrukturen: die sind leistungsfeindlich und dienen nur der Bewahrung vorhandener Positionen. Sie sind untauglich für Veränderung – und Verbesserung ist auch nichts weiter als Veränderung.
Es geht im wesentlichen nur darum, gesellschaftliche und geistige Flexibilität und Zutrauen zu eigenen Möglichkeiten zu gewinnen. So wie vor den besagten 10.000 Jahren die Menschen eine aus ihrer Sicht sinnvolle Veränderung ihres Verhaltens vorgenommen haben, und das haben sie in vollem Bewußtsein getan.
Industrielle Arbeit war immer und ist auch weiterhin im wesentlichen Anlerntätigkeit. Die Ausbildung hilft dabei (bei der Dauer des Anlernens und bei der beruflichen Weiterentwicklung, sie kann, muß aber nicht, für „höhere Aufgaben“ qualifizieren). Daraus folgt, daß auch der „Ungelernte“ hier weiterhin Arbeit findet, wichtig sind persönliche und geistige Fähigkeiten des einzelnen. Und vor allem ist es die Erkenntnis, sich fortwährend weiterentwickeln zu wollen. Wenn die Welt sich schnell dreht, nun dann drehen wir uns eben mit. Bildung ist damit kein Einstiegsfaktor und Positionsgarant mehr wie für die aussterbende bürgerliche Art, sie ist fortlaufende Aufgabe.
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, warum ich vor der Zukunft Angst haben sollte. Wer hier und heute vor Ungelernten Wanderarbeitern warnt, hat im Grunde nur Angst davor, die könnten dazulernen und die könnten bessere Leistungen erbringen. Egal wie hochtechnisch die industrielle Produktion auch werden mag, es gibt darin nichts, was nicht erlernt werden könnte.
Immer daran denken: „Wer keine Arbeit hat, der macht sich welche.“ Und so werden die „Schornsteine weiter rauchen“. Der heute so hochgelobte Effizienzgedanke meint doch nur eines: alles haben wollen und nichts bezahlen. Das wäre zwar 100% effizient, aber Wirtschaften ist es nicht. Denn es fehlt der Mehrwert, es fehlt die ganze Wertschöpfungskette. Und so erhält die alte Weisheit „Was nichts kostet, taugt nichts“ eine ganz neue Bedeutung.
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im Februar 2013

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