Montag, 1. April 2013

Eine (neue) Mitte der Gesellschaft

Wir sind die Mitte! Wo wir sind, da ist die Mitte! Wir sind die bürgerliche Mitte! Und so weiter und so weiter…
Wer aber soll das sein? Wer sind die „Mittigen“? Sind das die „Staatsbürger“? Nun, wenn das so ist, dann ist es um die Mitte aber schlecht bestellt. Der „Staatsbürger“ ist doch der, in Abgrenzung zum „Bildungsbürger“ und zum „Besitzbürger“, der den Staat, der die Gesellschaft verwaltet. Der also direkt von der Gesellschaft ernährt wird. Der aber selbst nichts zum Erschaffen der Werte, aus denen er ernährt wird, beiträgt. Wie soll das funktionieren? Ein Perpetuum Mobile existiert nun einmal nicht.
Für mich verblüffend ist auch, daß hierzulande jeder von sich behauptet, er gehöre zur Mitte. Alle streben zumindest dahin. Tatsächlich tummeln sich im Zentrum unserer Gesellschaft ungeordnet alles und jeder. Die Mitte, das Zentrum, ist jetzt ein waberndes, undefinierbares Etwas, das zudem noch chaotisch Tentakeln in alle Richtungen ausstreckt und wieder einzieht. Die Mitte ist im Augenblick ein undefinierbarer Klumpen.
Wenn nun dieser Klumpen Stöße von außen erfährt, sogenannte Krisen, dann fängt er an zu zittern und schwingt regellos vor sich hin. So ein Objekt ist alles andere als stabil. Ständig werden Bröckchen von ihm abgeschlagen. Seine Laufruhe ist katastrophal. Auf so einem Objekt ist in diesem Universum kein gesellschaftliches Leben möglich.

Ein Stabilitätszentrum, das diesen Namen auch verdient

Ich will es einmal mit einem neuen Bild von einer Gesellschaft versuchen. Ich stelle mir die Gesellschaft als einen Kreisel vor. Einen rotierenden Kreisel mit einer Scheibe in Äquatorebene, der Lebensscheibe der Mitglieder der Gesellschaft. Im Zentrum des Kreisels ist die Hauptmasse homogen verteilt. Der Kreisel ist stabil. Erfährt er von außen irgendwelche „Kraftstöße“, so richtet er sich wieder auf. Soll er schneller oder langsamer laufen, dann werden kleine Massen in der Scheibenebene gleichmäßig nach außen oder nach innen bewegt. So kann er seine Drehzahl regeln.
Innen im Zentrum, in der Mitte meines Kreisels sind die Unternehmen und die Arbeiter konzentriert. Aber nicht dergestalt, daß sie über- oder nebeneinander in starren Schichten liegen. Denn dadurch könnte die Massenverteilung heterogen werden, da nicht flexibel auf Einflüsse von außen reagiert werden könnte. Der Kreisel wäre dann nicht stabilisierbar.
Deshalb umschließen sie sich wie zwei knetbare oder zäh fließende Massen. Ihre innere Struktur bleibt in Bewegung, bleibt anpassungsfähig. Im Schnittbild sieht das dann in einer Momentaufnahme fast so aus wie das Yin-Yan-Symbol: zwei Teile die einander stabilisieren, die einander halten, die ohne den jeweils anderen nicht am Platz blieben.
Um dieses Zentrum herum ist die „Staatshaut“ gespannt. Eine reißfeste, gleichwohl dehnbare Haut, die zudem auch noch „atmungsaktiv“ ist. Sie hält die Kernmassen am Platz.
Diese Haut kann sich auch in Teilen auf die Scheibe in der Äquatorebene ausdehnen und so die Drehzahl des Kreisels regulieren. Oder sie läßt zu diesem Zweck Teilmassen aus dem Zentrum nach außen dringen und wieder zurückgleiten. Oder auch umgekehrt von außen nach innen.

Was aber hält das Stabilitätszentrum wiederum zusammen, was ist der Kernkit?

Nun, da das „Schichtmodell“ einer Gesellschaft im Zentrum des Kreisels nicht funktioniert, kann es kein hierarchischer Kit sein. Wer da nach Herrschaft strebt, der stellt eine lebensbedrohende Gefahr für den ganzen Kreisel dar. Der Kern muß in sich flexibel bleiben. Das gilt auch für das Streben nach Reichtum, das nur ein Synonym für das Streben nach Herrschaft ist. Herrschaft ist Starre, ist Erstarrung.
Bedeutet das dann, daß mein Gesellschaftskreisel doch nur auf einem sozialistischen Einheitsmodell oder auf einem esoterischen „Friede-Freude-Eierkuchen-Modell“ beruht? Bin ich nur einer der vielen auf dem Weg nach Shangri-la? Nein, bin ich nicht.
Die beiden Kernelemente werden geleitet durch das Streben nach Wohlstand und Wohlergehen. Beides soll dabei auch noch wachsen, in langfristiger Perspektive leicht aber stetig wachsen.
Das „Streben nach Wohlstand“ ist gleichbedeutend mit dem Schaffen von Werten, mit Wertschöpfung. Das kann nur in einer industriellen Wirtschaft stattfinden. Die sogenannte Dienstleistungsindustrie (das ist die Finanzdienstleistungs­industrie) kann das gar nicht, denn dort werden keine Werte geschaffen. Geld kann kein Geld schöpfen. Und die Antwort ist ein eindeutiges und lautes „Ja!“ Die Frage: „Ist industrielle Wertschöpfung schweißtreibend und anstrengend?“
Das Streben nach Wohlergehen dabei bedeutet, daß beide Kernelemente während des Prozesses der Wertschöpfung schon leistungsgerecht untereinander verteilen. Während der Wertschöpfung! Nicht hinterher durch nachträgliche Alimentierung, um irgendeinen Gerechtigkeitsausgleich herbeizuführen.
Der Prozeß der Wertschöpfung, das Arbeiten der beiden Kernelemte meines Kreisels selbst ist schon Bestandteil des Wohlergehens. Die Arbeit selbst wird damit zur inneren Triebfeder. Damit haben beide Kernelemente Lust auf den Erfolg. Und mehr Motivation geht nicht. Und höher können dann auch die Erfolgsaussichten nicht sein.

Wie soll so etwas organisiert werden?

Den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer, diese beiden ewigen Kontrahenten, die jetzt lediglich noch die Erhaltung der von ihnen selbst geschaffenen Metaorganisationen, der Verbände und der Gewerkschaften, als Daseinssinn haben, diese beiden möchte ich ersetzt wissen. Sie sollen sich wandeln zu den beiden Kernmassen meines Kreisels.
Die Unternehmen können sich dabei zu branchenspezifischen Teilmassen zusammenfinden. Können sie, müssen sie aber nicht. Wenn die sich nur mit Geldzählen befassen wollen, dann ist es mir auch recht. Die sollen investieren, gute Löhne zahlen, ordentlich Mehrwertsteuer erarbeiten helfen und dann soviel wie es eben ist mit nach Hause nehmen.
Die Arbeiter allerdings sollen sich zu anderen Teilmassen, zu Genossenschaften, zu branchenspezifischen Genossen­schaften zusammenschließen.
Genossenschaft heißt, daß die Arbeiter Teilhaber ihrer jeweiligen, durchaus wechselnden Genossenschaft sind. Niemand soll gezwungen sein, sein ganzes Leben lang ein und dieselbe Arbeit auszuführen. Sie vermarkten sich – genauer: ihre Leistung – auftragsweise an die Unternehmen. Sie lassen sich nicht mehr anstellen. Sie sind Geschäftspartner oder Vertragspartner.
Innerhalb ihrer Genossenschaft übernehmen die Arbeiter selbst ihre Sozialversicherung und auch ihre Ausbildung. Sie bieten sich selbst intern Aufstiegschancen. Da sie das alles selbst machen, gehen diese Aspekte natürlich in die „Preisfindung“ für ihre Leistungen ein. Gute Leistung gegen gute Bezahlung. Zug um Zug. Nachträgliche Alimentierung ist leistungsschädigend.
Und die stabilisierende Staatshaut meines Kreiselzentrums? Erdrückt die den Kern nicht? Tut sie nicht. Sie hat den Zweck, den beiden Kernmassen Leitlinien zu geben. Nämlich für den Fall, daß es sinnvolle oder notwendige Veränderungen gibt, die die beiden Kernmassen in ihrer Wertschöpfungswut sonst gar nicht wahrnehmen würden. Außerdem ist auch die Trägheit eine Eigenschaft von Massen.
So könnte es zum Beispiel sinnvoll sein, die Gegenstände der Wertschöpfung, sagen wir einmal bei der Energiegewin­nung oder beim Automobilantrieb, so anzupassen, daß unser Planet, auf dem ja auch mein Kreisel steht, erhalten bleibt. In der Arbeits- und Ertragswut übersieht man solche Aspekte gern einmal.
Daher ist meine Staatshaut nicht nur schön flexibel, sie ist auch für das Lernen verantwortlich. In ihr muß vorweggedacht werden. Sie muß auch Risiken zuerst und vielleicht auch zuerst allein angehen. Sie muß selbst „unternehmen“. In meiner Staatshaut sitzen in den Hautzellen die wirklichen Vordenker, nicht nur Dummies, die Experten denken lassen, ohne diesen allerdings sagen zu können, in welche Richtung die denken sollen.
Und vor allem sitzen da diejeniegen, die mit der Kreiselführung, mit der Drehzahlsteuerung beauftragt sind. Kurzum: da sitzen die Besten. Verwaltende Zeitgenossen sind da nicht am richtigen Platz. Solche, die meinen, andere machen das schon von allein, sind da auch eine Fehlbesetzung. Da gehören Leistungsträger und vor allem Führungswillige hin.
Bürgerliches Zentrum? Bürgerliche Mitte? Bürger? Wer oder was soll das sein? Bür… Das Wort habe ich gerade vergessen.

Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im Januar 2013

Keine Kommentare: