Wir sind die Mitte! Wo wir sind, da ist die Mitte! Wir sind
die bürgerliche Mitte! Und so weiter und so weiter…
Wer aber soll das sein? Wer sind die „Mittigen“? Sind das
die „Staatsbürger“? Nun, wenn das so ist, dann ist es um die Mitte aber
schlecht bestellt. Der „Staatsbürger“ ist doch der, in Abgrenzung zum
„Bildungsbürger“ und zum „Besitzbürger“, der den Staat, der die Gesellschaft
verwaltet. Der also direkt von der Gesellschaft ernährt wird. Der aber selbst
nichts zum Erschaffen der Werte, aus denen er ernährt wird, beiträgt. Wie soll
das funktionieren? Ein Perpetuum Mobile existiert nun einmal nicht.
Für mich verblüffend ist auch, daß hierzulande jeder von
sich behauptet, er gehöre zur Mitte. Alle streben zumindest dahin. Tatsächlich
tummeln sich im Zentrum unserer Gesellschaft ungeordnet alles und jeder. Die
Mitte, das Zentrum, ist jetzt ein waberndes, undefinierbares Etwas, das zudem
noch chaotisch Tentakeln in alle Richtungen ausstreckt und wieder einzieht. Die
Mitte ist im Augenblick ein undefinierbarer Klumpen.
Wenn nun dieser Klumpen Stöße von außen erfährt, sogenannte
Krisen, dann fängt er an zu zittern und schwingt regellos vor sich hin. So ein
Objekt ist alles andere als stabil. Ständig werden Bröckchen von ihm
abgeschlagen. Seine Laufruhe ist katastrophal. Auf so einem Objekt ist in
diesem Universum kein gesellschaftliches Leben möglich.
Ein Stabilitätszentrum, das diesen Namen auch verdient
Ich will es einmal mit einem neuen Bild von einer
Gesellschaft versuchen. Ich stelle mir die Gesellschaft als einen Kreisel vor.
Einen rotierenden Kreisel mit einer Scheibe in Äquatorebene, der Lebensscheibe
der Mitglieder der Gesellschaft. Im Zentrum des Kreisels ist die Hauptmasse
homogen verteilt. Der Kreisel ist stabil. Erfährt er von außen irgendwelche
„Kraftstöße“, so richtet er sich wieder auf. Soll er schneller oder langsamer
laufen, dann werden kleine Massen in der Scheibenebene gleichmäßig nach außen
oder nach innen bewegt. So kann er seine Drehzahl regeln.
Innen im Zentrum, in der Mitte meines Kreisels sind die
Unternehmen und die Arbeiter konzentriert. Aber nicht dergestalt, daß sie über-
oder nebeneinander in starren Schichten liegen. Denn dadurch könnte die
Massenverteilung heterogen werden, da nicht flexibel auf Einflüsse von außen
reagiert werden könnte. Der Kreisel wäre dann nicht stabilisierbar.
Deshalb umschließen sie sich wie zwei knetbare oder zäh
fließende Massen. Ihre innere Struktur bleibt in Bewegung, bleibt
anpassungsfähig. Im Schnittbild sieht das dann in einer Momentaufnahme fast so
aus wie das Yin-Yan-Symbol: zwei Teile die einander stabilisieren, die einander
halten, die ohne den jeweils anderen nicht am Platz blieben.
Um dieses Zentrum herum ist die „Staatshaut“ gespannt. Eine
reißfeste, gleichwohl dehnbare Haut, die zudem auch noch „atmungsaktiv“ ist. Sie
hält die Kernmassen am Platz.
Diese Haut kann sich auch in Teilen auf die Scheibe in der
Äquatorebene ausdehnen und so die Drehzahl des Kreisels regulieren. Oder sie
läßt zu diesem Zweck Teilmassen aus dem Zentrum nach außen dringen und wieder
zurückgleiten. Oder auch umgekehrt von außen nach innen.
Was aber hält das Stabilitätszentrum wiederum zusammen, was ist der Kernkit?
Nun, da das „Schichtmodell“ einer Gesellschaft im Zentrum
des Kreisels nicht funktioniert, kann es kein hierarchischer Kit sein. Wer da
nach Herrschaft strebt, der stellt eine lebensbedrohende Gefahr für den ganzen
Kreisel dar. Der Kern muß in sich flexibel bleiben. Das gilt auch für das
Streben nach Reichtum, das nur ein Synonym für das Streben nach Herrschaft ist.
Herrschaft ist Starre, ist Erstarrung.
Bedeutet das dann, daß mein Gesellschaftskreisel doch nur
auf einem sozialistischen Einheitsmodell oder auf einem esoterischen
„Friede-Freude-Eierkuchen-Modell“ beruht? Bin ich nur einer der vielen auf dem
Weg nach Shangri-la? Nein, bin ich nicht.
Die beiden Kernelemente werden geleitet durch das Streben
nach Wohlstand und Wohlergehen. Beides soll dabei auch noch wachsen, in
langfristiger Perspektive leicht aber stetig wachsen.
Das „Streben nach Wohlstand“ ist gleichbedeutend mit dem
Schaffen von Werten, mit Wertschöpfung. Das kann nur in einer industriellen
Wirtschaft stattfinden. Die sogenannte Dienstleistungsindustrie (das ist die
Finanzdienstleistungsindustrie) kann das gar nicht, denn dort werden keine
Werte geschaffen. Geld kann kein Geld schöpfen. Und die Antwort ist ein
eindeutiges und lautes „Ja!“ Die Frage: „Ist industrielle Wertschöpfung
schweißtreibend und anstrengend?“
Das Streben nach Wohlergehen dabei bedeutet, daß beide
Kernelemente während des Prozesses der Wertschöpfung schon leistungsgerecht untereinander
verteilen. Während der Wertschöpfung! Nicht hinterher durch nachträgliche
Alimentierung, um irgendeinen Gerechtigkeitsausgleich herbeizuführen.
Der Prozeß der Wertschöpfung, das Arbeiten der beiden
Kernelemte meines Kreisels selbst ist schon Bestandteil des Wohlergehens. Die
Arbeit selbst wird damit zur inneren Triebfeder. Damit haben beide Kernelemente
Lust auf den Erfolg. Und mehr Motivation geht nicht. Und höher können dann auch
die Erfolgsaussichten nicht sein.
Wie soll so etwas organisiert werden?
Den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer, diese beiden ewigen
Kontrahenten, die jetzt lediglich noch die Erhaltung der von ihnen selbst geschaffenen
Metaorganisationen, der Verbände und der Gewerkschaften, als Daseinssinn haben,
diese beiden möchte ich ersetzt wissen. Sie sollen sich wandeln zu den beiden
Kernmassen meines Kreisels.
Die Unternehmen können sich dabei zu branchenspezifischen
Teilmassen zusammenfinden. Können sie, müssen sie aber nicht. Wenn die sich nur
mit Geldzählen befassen wollen, dann ist es mir auch recht. Die sollen investieren,
gute Löhne zahlen, ordentlich Mehrwertsteuer erarbeiten helfen und dann soviel
wie es eben ist mit nach Hause nehmen.
Die Arbeiter allerdings sollen sich zu anderen Teilmassen,
zu Genossenschaften, zu branchenspezifischen Genossenschaften
zusammenschließen.
Genossenschaft heißt, daß die Arbeiter Teilhaber ihrer
jeweiligen, durchaus wechselnden Genossenschaft sind. Niemand soll gezwungen
sein, sein ganzes Leben lang ein und dieselbe Arbeit auszuführen. Sie
vermarkten sich – genauer: ihre Leistung – auftragsweise an die Unternehmen.
Sie lassen sich nicht mehr anstellen. Sie sind Geschäftspartner oder
Vertragspartner.
Innerhalb ihrer Genossenschaft übernehmen die Arbeiter selbst
ihre Sozialversicherung und auch ihre Ausbildung. Sie bieten sich selbst intern
Aufstiegschancen. Da sie das alles selbst machen, gehen diese Aspekte natürlich
in die „Preisfindung“ für ihre Leistungen ein. Gute Leistung gegen gute
Bezahlung. Zug um Zug. Nachträgliche Alimentierung ist leistungsschädigend.
Und die stabilisierende Staatshaut meines Kreiselzentrums? Erdrückt
die den Kern nicht? Tut sie nicht. Sie hat den Zweck, den beiden Kernmassen Leitlinien
zu geben. Nämlich für den Fall, daß es sinnvolle oder notwendige Veränderungen
gibt, die die beiden Kernmassen in ihrer Wertschöpfungswut sonst gar nicht
wahrnehmen würden. Außerdem ist auch die Trägheit eine Eigenschaft von Massen.
So könnte es zum Beispiel sinnvoll sein, die Gegenstände der
Wertschöpfung, sagen wir einmal bei der Energiegewinnung oder beim
Automobilantrieb, so anzupassen, daß unser Planet, auf dem ja auch mein Kreisel
steht, erhalten bleibt. In der Arbeits- und Ertragswut übersieht man solche
Aspekte gern einmal.
Daher ist meine Staatshaut nicht nur schön flexibel, sie ist
auch für das Lernen verantwortlich. In ihr muß vorweggedacht werden. Sie muß
auch Risiken zuerst und vielleicht auch zuerst allein angehen. Sie muß selbst
„unternehmen“. In meiner Staatshaut sitzen in den Hautzellen die wirklichen
Vordenker, nicht nur Dummies, die Experten denken lassen, ohne diesen
allerdings sagen zu können, in welche Richtung die denken sollen.
Und vor allem sitzen da diejeniegen, die mit der
Kreiselführung, mit der Drehzahlsteuerung beauftragt sind. Kurzum: da sitzen
die Besten. Verwaltende Zeitgenossen sind da nicht am richtigen Platz. Solche,
die meinen, andere machen das schon von allein, sind da auch eine
Fehlbesetzung. Da gehören Leistungsträger und vor allem Führungswillige hin.
Bürgerliches Zentrum? Bürgerliche Mitte? Bürger? Wer oder was
soll das sein? Bür… Das Wort habe ich gerade vergessen.
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im Januar 2013
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im Januar 2013
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