Montag, 22. April 2013

Das Europäische Haus

Das einige Europa. Für die einen der Garant des Friedens, für die anderen die Aufgabe aller ihrer nationalen Errungenschaften. Nun, vielleicht geht es auch ein wenig unaufgeregter, angemessener.

Daß die europäischen Nationalstaaten historisch nichts weiter als Krieg untereinander und, als das nicht mehr reichte, weltweit geführt haben, daß sie durch Kolonialismus und übersteigerte Selbstsicht Unglück und Verderben über die Welt gebracht haben, das sind einfach nur historische Tatsachen. Ebenso Tatsache ist auch, daß sie all das nur vermochten, solange sie sich untereinander nicht verständigen konnten. Sie hatten nicht gelernt zu kooperieren. Die erfolgreichste Strategie der Evolution, die Kooperation, war in Europa noch nicht angekommen. Nach dem letzten großen Knall scheint dies aber so langsam wahrgenommen zu werden.
Ferner ist es keine große Erkenntnis, daß die einzelnen europäischen Staaten in der sich neu formierenden Welt chancenlos sind. Dadurch, Gott sei Dank, wird auch von außen Druck ausgeübt, der zur Kooperation nötigt. Allerdings noch nicht mit dem wünschenswerten Erfolg. Gerade im Augenblick droht alles wieder auseinanderzulaufen, obwohl es dazu gar keinen Grund gibt.
Denn die vielbeschworene Eurokrise und die noch mehr beschworene Staatsschuldenkrise gibt es im eigentlichen Sinne gar nicht. Es gibt lediglich die Fehlentwicklung, alle Kräfte auf die sogenannte Finanzdienstleistungsindustrie auszurichten. Eine „Industrie“, die nur Werte umverteilt, aber keinen Mehrwert schafft. Dahinter lugt noch immer der Gedanke vom europäischen Übermenschen hervor, der sich nicht mehr selbst mit Arbeit die Hände schmutzig zu machen braucht; er macht jetzt in Dienstleistung.
Und auch die sogenannten Staatsschuldenkrisen sind, bis auf die Ausnahme Griechenland, nichts weiter als Fehlspekulationen der Banken der reichen Staaten in der EU, die sich schadlos halten wollen. Deckt sich mit der Misere der Finanzdienstleistungsindustrie, die ja für „ihren Job“ Schuldner mit bester Bonität braucht. Das können nur noch Staaten oder Völker sein. Nicht weil die soviel Geld hätten. Aber weil die am Schluß nicht mehr „auskneifen“ können. Jedes Privatunternehmen kann sich im Falle des Falles in die Insolvenz retten. Völker können das nicht. Brauchen sie als Souverän auch nicht. Sie können auch so „Finanzindustriellen“ die Grenzen aufzeigen, falls ihre Führungen und selbsternannten Eliten dies wollten.
Nein, diese sogenannten Krisen sind nur Vorwand für all diejenigen, die sich vor der sich verändernden Welt in ihrer kleinen Wagenburg verstecken wollen. So kommen manche denn auch auf die Idee von Nord- und Südwährungen, weil man die ja so schön gegeneinander auf und abwerten kann. Eigentlich aber verfolgen solche „Strategen“ nur das Ziel, den vermeintlich reicheren Norden gegen den vermeintlich ärmeren Süden abzuschotten. So eine schön breite europäische Südzone ist doch eine herrliche Grenzbefestigung gegen alle, die von noch weiter südlich vordringen könnten. Könnten. Da wird Vorneweg-Verteidigung zur Paranoia. Aber die „völkischen Autarkisten“ unter den Gutbürgerlichen waren ja schon immer etwas neben der Spur.

So aber könnte etwas daraus werden …

Auch wenn es jetzt ein wenig mechanisch wird. Das macht nichts. Ich stelle mir halt gern Zusammenhänge technisch vor. Das muß man nicht. Aber mir macht es auch ein Stück weit Freude.
Dieses technische Bild ist das Automatikgetriebe mit Doppelkupplung und Drehmomentübergabe. Damit gelingt die Kraftübertragung, ohne daß es zu „Löchern“ mit Leistungsabfall kommt. Und genauso stelle ich mir das Zusammenlaufen der europäischen Staaten vor. Die gemeinsame Währung gibt es ja schon. Und die wollen wir jetzt auch behalten. Wir kooperieren jetzt auf dieser Basis einfach weiter.
Das Zusammenlaufen in der Wirtschaft könnte durch gemeinsame Standortpolitik befördert werden, zum Beispiel in der Logistik oder bei großen Schlüsselindustrien. Ich meine damit eine politische Lösung. Nicht eine privatwirtschaftliche oder eine staatliche. So ist es im Bereich der „Personenlogistik“ gar nicht einzusehen, warum ein irischer Kobold (die mit den Goldtöpfen) sämtliche Flughäfen abweidet und verbrannte Erde hinterläßt. Das Netz europäischer Flughäfen (und Seehäfen und Güterbahnhöfe usw.) kann man politisch zum Wohle der internen Warenströme konzipieren, wenn man will.
Weiterhin könnten sehr leicht die Mehrwertsteuersätze angeglichen werden. Auch könnte die Mehrwertsteuer im gesamten innereuropäischen Warenverkehr überall gelten, wie auf einem echten Binnenmarkt eben. „Zurückgeben“ kann man diese „Mehrbelastung“ sehr leicht über Einkommen- und Körperschaftssteuern.
Auch könnten die Rentensysteme und andere Sozialversicherungen/Vorsorgesysteme leicht angepaßt werden, um sie zum Beispiel von der störanfälligen Beitragsdeckungssystematik wegzubekommen. Damit würden auch (Binnen-) Arbeitskosten vergleichbar. Darüberhinaus würde die berufliche Freizügigkeit befördert, ohne die jetzt üblichen Versicherungen eines europäischen Arbeitnehmers durch seinen „ausländischen“ Arbeitgeber bei seiner „heimischen“ Versicherung.
Es gibt sehr viele solcher Kooperationselemente, die Stück für Stück ineinandergeschaltet werden könnten, ohne daß dazu ein großer Verfassungskonvent abgehalten werden müßte. Ein solches „Verfassungskonklave“ haben wir ja schon versucht. Von weißem Rauch aber keine Spur.
Nur zwei Dinge müssen vorher „eingerichtet“ werden. Diejenigen, die solche Kooperationen absprechen, müssen demokratisch legitimiert und kontrolliert werden. Dazu stelle ich mir vor, zunächst die Wahltermine der nationalen Parlamente anzugleichen (nicht die Systeme; das kann, wenn man will, später passieren). Gleichzeitig sollten parallel immer auch die Wahlen zum Europaparlament und zur Kommission (Ja, gerade die muß demokratisch installiert werden) abgehalten werden; ergänzt meinethalben noch um Volksabstimmungen über Fortführung, Änderung oder Abbruch von Großprojekten. Alles ein bißchen viel für Lieschen Müller? Denke ich nicht. Lieschen von nebenan ist zwar jetzt 86 Jahre alt, aber dumm ist die ganz gewiß nicht. Das packt die schon.
Das zweite „große Ding“, das notwendig ist, das ist Führung. Demokratisch legitimiert hin oder her. Wer als Politiker nicht führen kann oder will, der hat seinen Beruf verfehlt oder seine Berufung mißverstanden. Aber in diesem Punkt habe ich auch meine größten Bedenken. Gerade bei uns ist es üblich, die Dümmsten und Faulsten in politische Ämter zu heben. Vielleicht weil von denen keine echte Gefahr ausgeht. Gut. Habe ich verstanden. Aber so langsam sollten sich die Menschen auch einmal wieder etwas zutrauen. Falls es einmal vorkommt, daß ein selbsternannter Führer das braune Hemd überstreift, dann kann man den auch schnell wieder zum Teufel jagen.

Fazit

Nun, man sieht deutlich, einen Einheitsstaat braucht es gar nicht, zumindest nicht am Anfang, vielleicht auch für immer nur als Vision, als Leitbild. Die einzelnen Länder können gern als „Profit Center“ agieren. Es muß aber Absprachen nach außen geben und gemeinsame Ziele. Dazu sollte auch ein zu erreichendes Prokopfeinkommen in allen Ländern gehören. Und, wäre dies ein Kartell gegen den Rest der Welt? Ja, wäre es. Na und?
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im April 2013

Sonntag, 21. April 2013

Furchtbarer und fruchtbarer Wettbewerb

Wettbewerb um seiner selbst Willen macht nicht viel Sinn. Das kenne ich von früher unter „Operative Hektik bei geistiger Windstille“ (siehe aktuell „Der Spiegel und seine mißratene Redaktions-Doppel-Spitze“). Zwei Hähne mit Messerklingen an den Füßen aufzuhetzen, ersetzt kein tragfähiges Konzept. Das muß eine Führung selbst schaffen. Führung ist eben nicht Manipulation, ist eben nicht „sich-zurücklehnen-und-andere-bei-der-Schlägerei-beobachten“. Was beim Spiegel festzustellen ist, ist die völlige Abwesenheit von Führung: Führungsimpotenz und Führungsinkompetenz in einem.
 
Diese „Zwei-Streithähne-Methode“ ist allerdings in der gesamten Wirtschaft weit verbreitet. Gerade die bekannten „Nieten in Nadelstreifen“ wenden sie gerne an, denn so können sie stets auf das Versagen des Unterlegenen im Wettbewerb verweisen. Daß die beiden Streithähne bei gelungener Führung zusammen wesentlich mehr auf die Beine stellen würden, entgeht dabei gern der Aufmerksamkeit. Der Wettbewerbsvogang ist derart unterhaltsamer Klamauk, daß die Betrachtung des Ergebnisses, der Zahlen unter dem Strich, übersehen wird. Nun, zumindest ist es ja unterhaltsam. Und wenn ein Unternehmer(erbe) sich so vergnügen will, dann soll er auch dafür bezahlen dürfen.
Weiter: Wettbewerb nur, um einigen wenigen Zugang zu den „Fleischtöpfen“ zu gewähren (das ist die eigentliche Zielsetzung bei allen Privatisierungsprojekten), ist nicht wirklich förderlich für Innovationen oder Problemlösungen. Da werden alternative Konzepte eher behindert; man beschäftigt sich nach außen zwar damit, will aber eigentlich nur die Kühe weiter in Ruhe melken.
Bei allen Versuchen, Land und Wasser zu privatisieren, wird es ganz deutlich. Mangels eigener neuer Produktideen, wird auf die Grundbedürfnisse der Menschen zugegriffen. Mit der immer gleichen Begündung: Wettbewerb würde „das Beste  im Manne“ hervorbringen und so zum Nutzen aller bessere und billigere Produkte erzeugen. In Wahrheit geht es um die Rückkehr zur Feudalherrschaft.
Das alles ist furchtbarer Wettbewerb, der nur dem einen Zweck dient, Herrschaft zu erhalten. Und vielleicht noch dem Nebenzweck, eigene Unfähigkeit zu verbergen. Dieser furchtbare Wettbewerb hat nur Vernichtung von Werten zufolge, nicht aber die Schaffung von Mehrwert. Die Übernahme eines Konkurrenzunternehmens erhöht nicht die Gesamtwerte, sie verteilt sie nur um. Sie ist nur ein Mittel der Herrschaftsfestigung. Die Folge ist nicht neuer Schwung für neue Projekte. Die Folge ist Selbstzufriedenheit und sinkende Eigenleistung.

Kooperativer Wettbewerb

Demgegenüber steht der fruchtbare Wettbewerb. Er ist ein Element der erfolgreichsten Strategie, die die Evolution hervorgebracht hat: Kooperation. Nur um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Kooperation heißt, sich zusammen an einem gemeinsamen Ziel orientieren, zum gegenseitigen Nutzen. Es heißt nicht „Friede-Freude-Eierkuchen“ oder „Koste-es-was-es-wolle“.
In der Kooperation setzt der sinnstiftende, das ist der Mehrwert schaffende, Wettbewerb schon bei der Definition der Ziele ein. Selbstverständlich setzt sich dabei eine Idee, ein Ideengeber durch. Das soll ihm zu Ehre und zu Einkommen gereichen. Wichtiger aber ist, daß das so gefundene Ziel von allen akzeptiert und stringent verfolgt werden wird.
Danach geht es im gleichen Stile weiter. Die Idee ist ja nur der Anfang (eines Unternehmens oder eines Projektes oder eines staatlichen Vorhabens oder was auch immer).
Der wirklich entscheidende Punkt ist das zugrundeliegende Verhaltensmuster. Das jeder für sich selbst nach Erfolg, Ansehen, Vermögen und Glück strebt ist keine große Erkenntnis. Es ist einfach so. Auch ist es nicht von Bedeutung, etwas haben zu wollen, daß ein anderer auch hat. Der Unterschied ist, dieses etwas, das ein anderer auch hat, selbst noch einmal erlangen zu können. Es also noch einmal zu erschaffen. Das ist dann der Mehrwert. Man orientiert sich bei seinen Zielen an anderen. Man hat sie als Vorbild. Man hat sie aber nicht als Beuteobjekt.
Kooperativer Wettbewerb kennt durchaus wechselnde Konstellationen und wechselnde Partnerschaften. Er ist also dynamisch. Er orientiert sich aber auch dann am Mehrwert, nicht am Umverteilen und am Beutemachen.
Darin steckt noch eine Kleinigkeit: Neid kann eine Triebfeder sein. Nur wer sich vor denjenigen fürchtet, die mehr erschaffen wollen, die auch etwas für sich erreichen wollen, der ist wirklich mißgünstig. Der ist wirklich bürgerlich.
Nur einen Haken hat die ganze Sache: Da es sich um Menschen handelt, bedarf es lenkender Kräfte. Das können durchaus gemeinsame Werte sein, vermittelt auch durch geeignete Erziehung zur Kooperation. Dann liefe die Sache von selbst. Allerdings ist in der „harten Realität“ meistens noch etwas anderes nötig: Führung. Die wiederum kann niemand leisten (Ja, Führung ist eine Leistung, die man messen kann), der immer und immer wieder siegen muß. Der Sieger hinterläßt nur Zerstörung und Unterworfene. Führen kann nur, wer anderen zum Erfolg verhelfen kann und dies vor allem auch will. Und wer es schafft, den Übereifer einzelner zu steuern, damit es nicht soweit kommt, daß sich einige als Besiegte fühlen. Die werden nicht mehr folgen. Die sind dann zwar immer noch vonnöten, aber nicht mehr dabei.

Lessons learnt

Wer als Unternehmer sehen will, wie sich Menschen prügeln, der sollte zu einem Boxkampf gehen. Das ist billiger, mithin effizienter, als alle halbe Jahre neue Leute anlernen zu müssen; sonst ist der Wirkungsgrad, also die Effektivität – und damit die Produktivität –, der Belegschaft zu gering. Wettbewerb hat per se nichts mit Prosperität zu tun. Freude am Wettstreit wird nur erlebt und Erfolg im Wettstreit wird wird nur erlangt im kooperativen Wettbewerb, der nicht die Vernichtung anderer, der vielmehr das Übertreffen alter Ziele verfolgt.
Ich muß um Entschuldigung bitten: Die Cabaret-Nummer „Effizienz & Effektivität: Warten auf die Weisheit“ konnte ich mir hier einfach nicht verkneifen.
Dies alles gilt auch für jeden einzelnen in seinem privaten und beruflichen Umfeld. Wer alles tut, nur um einen Tick mehr zu haben als der Nachbar, ohne daß ihn das Gesamtergebnis auch nur ansatzweise interessiert, der sollte meines Erachtens einen Arzt aufsuchen. Und was für jeden einzelnen gilt, das gilt auch für Staaten. Auch da gibt es Geisteskranke.
Ach ja, noch etwas zum Abschluß: Viele meinen ja, im Thema Wettbewerb die „Lehren des Macchiavelli“ wiederzufinden. Und die wären ja sehr erfolgreich gewesen. Ich finde nicht, daß ich mir die Lehren eines Speichelleckers zu eigen machen sollte. Denn mehr war dieser Mann nicht: Der beste Schmeichler seines Herrn weit und breit. Und sein Herr war ein irrer Despot.
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im April 2013

Mittwoch, 10. April 2013

Die Bedeutung des Eigentums


Eigentum, digitale Welt und Kreislaufwirtschaft

Aktuell wird eine, allerdings sehr diffuse Diskussion geführt, die auf folgendes hinausläuft: in Zukunft würde man Waren und Leistungen nicht mehr kaufen, sondern nur noch mieten. Insbesondere wäre das, quasi systemimmanent, im digitalen Handel so. Darüberhinaus wäre dies auch, und es wäre wünschenswert, im übrigen Warenverkehr so. Dort wäre es wichtig, um eine echte Kreislaufwirtschaft in Gang zu setzen, die einerseits Produkte konzipiert, die auf vollständige Wiederverwertung angelegt sind, und die andererseits vom Hersteller auch komplett zurückgenommen werden müßten, was dem wiederum den Vorteil günstigerer Rohstoff- oder Ausgangsmaterialbeschaffung ermöglichte.
Was den Kreislaufwirtschaftsaspekt betrifft, ist die Grundidee ja richtig, nämlich Produkte zu konzipieren, die ohne großen Aufwand in ihre stofflichen Ursprünge zurückzuführen wären. Insgesamt aber wird vernachlässigt, daß ein Kunde bei all diesen Überlegungen niemals ein Eigentumsrecht erwirbt. Er bleibt damit in ständiger Abhängigkeit. Er ist nicht in der Lage, das gekaufte Gut auch zu seinem Nutzen selbst weiterzuveräußern. Im Prinzip läuft das auf eine vollkommen getrennte Gesellschaft hinaus, in der es eine Klasse von Rechteinhabern und eine Klasse von Mietzahlern gibt.
Das erinnert mich doch sehr stark an die vielen Privatisierungsarien, die wir schon hinter uns gebracht haben. Die (politische) Zustimmung war immer so einzuholen: Ihr kriegt schön viel Geld dafür (müßt ja nicht ihr zurückzahlen) und ihr braucht euch um nichts mehr zu kümmern. Vor allem letzteres hat immer sofort gezogen. Genauso ködert man bequeme Kunden: Ihr braucht nur zu bezahlen, den Rest nehmen wir euch ab. Garantiert. Für immer. Versprochen.
Aus meiner Sicht ist dies, vielleicht etwas überspitzt gleichwohl richtig ausgedrückt, die Wiederbelebung des Feudalsystems, in dem diese Aufteilung schon einmal bestanden hat. Es will sich mir nicht erschließen, wie darin Leistungswille und Innovationsfähigkeit gedeihen sollen. Ebenso wenig kann ich erkennen, wie eine neue Klasse von Unfreien und Abhängigen eine Demokratie befördern soll. Sachlich zwingend ist der Weg dahin keineswegs vorgegeben, denn eine Kreislaufwirtschaft zum Beispiel läßt sich auch anders herstellen.
Sehr interessant ist, daß seitens des Bürgertums gar kein Widerspruch zu hören ist. Immerhin ginge es ja um den Eingriff in das Eigentumsrecht, dessen Erkämpfung vom Adel sich doch gerade das Bürgertum ans Revers heften will.
Vielleicht ist es da hilfreich, sich den Eigentumsgedanken noch einmal genauer anzusehen: Eigentum erwerben zu können, etwas sein Eigen nennen können, spornt erstens an und bedeutet zweitens, eine bessere Position seinem Gegenüber einnehmen zu können. Es sorgt für Augenhöhe im Geschäftsverkehr, es sorgt für Ansehen in der Gruppe. Eigentum hat hohen gesellschaftliche Stellenwert. Es hat gesellschaftspolitische und kulturelle Funktionen. Darüberhinaus lehrt Eigentum, Verantwortung zu tragen. Im übrigen ist dies unabhängig davon, ob das Eigentum selbst erlangt oder „nur“ geerbt wurde. Am verantwortungsvollen Umgang, am notwendigen verantwortungsvollen Umgang mit dem Eigentum ändert das nichts. Wenn man es verpraßt oder verwahrlosen läßt, dann wird es auch ganz schnell ehemaliges Eigentum.
In der bürgerlichen Sicht wird Eigentum allerdings zunehmend pervertiert: es wird zum Unterscheidungskriterium einer selbsternannten, neuen Herrenrasse, für die die Möglichkeit des Eigentumerwerbs durch andere zur lebensbedrohlichen Gefahr wird. Und die eingangs beschriebenen „Wege in die Vermietung“ würden dieser Herrenrasse ihren Erhalt sichern helfen.
Der Satz „Eigentum verpflichtet“ ist eine moralische Ermahnung und bezieht sich im wesentlichen auf die Problematik großer Vermögen und großer Besitzstände in einer Demokratie. Diese Problematik besteht ja durchaus, aber sie ist ein anderes Thema, ebenso wie die notwendige Beschränkung von Eigentumserwerb. Es ist selbstverständlich, daß niemand das Eigentum an Menschen erwerben kann. Ebenso selbstverständlich ist, daß Wasser niemals Privateigentum werden darf. Aber das ist eine Unterscheidung in privat und gesellschaftlich.
Diese Unterscheidung ist sinnvoll, notwendig und sicherlich auch einem Wandel im Laufe der Zeit unterworfen. Sie hat aber nichts mit der eigentlichen Bedeutung von Eigentum zu tun. Sie ist immer nur Ausdruck der Bestrebungen einiger, viele dominieren zu wollen. So ein Versuch  läßt sich zwar nicht verhindern, aber abwehren.
Abschließend noch eine Bemerkung zu der Urheberrechtsdebatte, gerade vor „digitalem Hintergrund“. Die technische Betrachtung verschleiert meines Erachtens nach den Blick auf das wesentliche. Eigentum und Nutzungsrecht werden darin erstens zusammengemischt (ist aber nicht weiter tragisch, da Rechte eben auch Eigentum sein können). Viel wichtiger ist mir, daß der Leistungsgedanke in den Hintergrund gerät.
Ich finde es ja völlig richtig, daß ein „Erfinder“ zeitlich befristet, zeitlich überschaubar Vorteile in Form des Patentschutzes genießt. Das ist seine Belohnung und die hat er verdient. Ich meine aber auch, daß der „Nutzungsschutz“ für einen Urheber geistiger Leistungen genauso gestaltet werden sollte. Und ich meine genauso: überschaubar zeitlich befristet. Die Betonung liegt auf überschauber und auf definiert befristet.
Es ist unerheblich, wie oft Patente und Rechte vererbt oder veräußert werden. Wichtig ist nur, daß sie erkennbar enden. Das zwingt zu neuer Leistung. Jedenfalls denjenigen, der es noch einmal wissen will. Wer mit der einen, der vergangenen Leistung genug hat, der darf sich auch gerne ausruhen. Er muß halt sehen, daß er mit dem befristet Verdienten auskommt.
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im April 2013

Sonntag, 7. April 2013

Wider den Klamauk

Kontinuität – Transparenz – Demokratie

Wenn es um die aktuelle und immer wiederkehrende „Schlacht um die Steuergerechtigkeit“ geht, so sind mir die üblichen Klamauktöne doch recht gleichgültig (geworden). Bei so wichtigen Begriffen wie den drei genannten ist es mir ein wichtiges Anliegen, einmal genauer hinzuschauen.
Vielleicht ist es ja nur der übliche Ton, wenn man, wie das Bürgertum, am Ende seines Wegs angekommen ist. Aber Kontinuität mit Starrsinn statt mit wohlüberlegtem Handeln, Transparenz mit Voyeurismus statt mit Information und Demokratie mit Proletentum statt mit Verantwortung für sich und andere zu übersetzen, gefällt mir einfach nicht.
Dabei sollte ich vielleicht noch etwas zum Proletentum sagen. Was ist das: ein Prolet? Ist das der arme Mann, der Proletarier? Liegt das nahe, weil es lautmalerisch so schön paßt? Nein, der Prolet ist die letzte Inkarnation des Bürgers als das was er eigentlich schon immer war: Der Untertan.
Der Prolet gefällt sich in der Verhöhnung eines Schwächeren oder eines Menschen in einer Zwangs- oder Notlage. Der Prolet weiß nichts, er kann nichts und er hat keinen eigenen Wert. Daher braucht er stets aufs Neue jemanden, auf den er herabschauen kann.
Das macht er dann auf immer dieselbe, klamaukartige Art und Weise, vorzugsweise in der Castingshow und beim Bildzeitunglesen. Dort immer, wenn es um arme Menschen geht, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, und wenn es um Menschen oder Staaten geht, die sich, und sei es auch nur vorübergehend, in einer Notlage befinden.
Dieses unablässige Feixen, dieser unablässige Klamauk sind zum Wahrzeichen bürgerlicher Politik und bürgerlichen Gesellschaftslebens geworden. Kontinuität besteht nur noch in der Kontinuität des Klamauks. Was mich betrifft, so hätte ich das gern geändert.
Kontinuität in der parlamentarischen Demokratie, die ja von Wahltag zu Wahltag lebt, ist gar nicht so einfach herzustellen. Gleichwohl ist es wichtig, über die Grenzen einer Legislatur hinaus „in der Spur zu bleiben“. Viele Angelegneheiten sind eben nach vier Jahren noch keinswegs zufriedenstellend geregelt, siehe die aktuellen Versuche, eine Umstrukturierung in der Energiegewinnung hinzubekommen. Und dabei geht es nur um die Gewinnung. Die Speicherung als weitaus größere Aufgabe ist noch gar nicht angedacht.
Kontinuität ist nach meinem Dafürhalten keineswegs nur so etwas wie Beharrungsvermögen. Das würde erst einmal nur Stehenbleiben bedeuten. In der Bewegung die Spur und die Zielrichtung zu behalten ist eine reichlich anstrengende Übung. Der bürgerliche Politiker, der „Kollege“ (der Parlamentswerke GmbH & Co. KG?), wie die sich selbst gern untereinander anreden, ist dazu vollkommen ungeeignet. Kontinuität muß man können und können wollen. Es ist im Kern eine Charaktereigenschaft. Dafür muß man aber auch Charakter haben und den nicht bei Eintritt in eine Partei abgegeben haben. Genau das hat der Bürger aber immer wieder getan: seinen vielleicht einmal sogar vorhanden gewesenen Charakter abzugeben. Beim Eintritt in eine Firma ebenso wie beim Eintritt in das Parlament.
Ähnlich sieht es mit der Transparenz aus. Es steht niemandem zu, einen anderen „strippen“ zu lassen. Solch ein Ansinnen ist einfach nur ungehörig. Genausowenig wie es mir oder sonstwem zusteht, einem anderen in die Hose zu schauen, genausowenig steht es mir oder sonstwem zu, einem anderen in die Geldbörse zu schauen. Transparenz durch Offenlegung von Gehältern herstellen zu wollen, das ist nur Spannerei. Nebenbei bemerkt: Auch die manchmal geführten Diskussionen darüber, wieviel Geld oder Lohn und Gehalt einem einzelnen überhaupt zustehen können/sollten, sind auch nicht sinnvoller.
Transparenz ist gegeben, wenn die Wege (von Informationen, von Geld, von Entscheidungen) offenliegen. Die einzelne Information, den einzelnen Betrag und die einzelne Einflußnahme zu kennen, ist ja zusätzlich ganz schön (und für einen Staatsanwalt vielleicht sogar einmal sehr wichtig), aber für die Beurteilung politischer Zusammenhänge und für die Meinungs- und Entscheidungsfindung des Einzelnen unerheblich. Meinungen und Entscheidungen sind, waren und werden immer „Bauchangelegenheiten“ sein. Jeder kann auf sein Gefühl vertrauen. Und nur die dazu notwendigen „Inputs“ sind wirklich von Bedeutung.
Daraus folgere ich, daß Demokratie, auch direkte oder „direktere“ Demokratie, gar nicht so schwer (herzustellen) ist. Es sind gar nicht so viele Voraussetzungen notwendig. Es ist nur der Wille nötig, alle Sinneskanäle aufzumachen, und nur der Mut nötig, eine eigene Meinung zu entwickeln oder eine eigene Entscheidung zu treffen. Das ganze halt noch einhergehend mit gutem Benehmen – und die Demokratie kann kommen. Ich fürchte micht nicht.
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im April 2013

Montag, 1. April 2013

Der Wertekanon

Das heere Wort vom Wert: was ist das eigentlich? Der Wert ist die unabdingbare Leitlinie für jeden ganz persönlich, aber auch im gesellschaftlichen Umgang miteinander, in der Politik und unter den Völkern. Es gibt eben Dinge, die macht man so und nicht anders. Und es gibt Dinge, die tut man einfach nicht. So ist der Krieg auch nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Er ist die Abwesenheit jeglichen Wertes.

Aus „dem Wert“ folgert dann erst das Recht und auch das Verbot oder das Tabu. Verbot und Tabu sind dann aber selbst­auferlegt, innerlich akzeptiert und angenommen. In der praktischen Umsetzung ist alles in Gesetze gegossen, aber nur um allgemein überpüfen zu können, wo genau jemand da zwischen Recht und Verbot/Tabu gerade steht. Gesetze kön­nen die Orientierung an Werten nicht „erzeugen“, sie können nur in der Diskussion oder im Streitfall Hilfestellung geben.
Seit Jahren oft gehört und nie erklärt sind auch die sogenannten bürgerlichen Werte. Was hat es damit auf sich? Woher kommen die und was meinen sie? Das Bürgertum, als Bannerträger der bürgerlichen Werte, ist tatsächlich immer noch nichts weiter als die mittelalterliche Feudal- und Ständegesellschaft. Lediglich der Adel als Spitze dieser Gesellschaft wurde ein wenig „umgewidmet“. Ansonsten gelten „Herkunftsrechte“, bevorrechtetes Zunftwesen und mittelalterliches Schuld- und Sühneverständnis. Gerade letzteres verhindert mit seiner postulierten, ewig drohenden „Verdammnis“ jede Problemlösung, zum Beispiel bei Staatsschuldenkrisen, die nun einmal passieren können.
Wie aber  faßbare und praktikable Strukturen in die wabernde Wertewolke bringen? Werte als Leitlinie müssen greifbar und einsehbar, standhaft und anpassungsfähig zugleich sein. In Gegensatzpaaren abgebildet ergibt sich für jeden Teilaspekt automa­tisch eine gewisse Bandbreite, auf der jeder seinen persönlichen Platz finden kann. So ein Gegensatz­paar ist dann eine Waage, auf der jeder die Gewichte ein wenig verschieben, für sich persönlich „zurechtrücken“ kann. Nur die Waage ignorieren kann er nicht. Und er kann nicht eine Seite mit 100% „belasten“. Dann geht die Waage kaputt.
Respekt vs. Freiheit
Die oft und gern wie eine Monstranz vorangetragene Freiheit beschreibt eigentlich nur die Möglichkeit, Dinge auszu­spre­chen oder eben auch nicht auszusprechen, Dinge zu tun oder eben auch nicht zu tun. Dabei ist das Nichtsagen oder das Nichttun die eigentliche Schwierigkeit in der Definition. Alles freigeben kann jeder. Die Einschränkung aber innerlich zu akzeptieren ist da schon schwieriger. Als Christ oder als jeder andere Mensch mit einem Religionsverständnis kann man es sich allerdings leichter machen. „Respektregel­anwendungen“ kann der Christ einfach aus den zehn Geboten nehmen. Er  „funktioniert“ einfach danach. So kostet es ihn weder Überlegung und Überwindung, auch einmal den Mund zu halten oder seine Worte anzupassen, um nicht „falsch Zeugnis zu reden“. Gleiches gilt für den Resepkt vor der Schöpfung. Es kostet ihn keine Überwindung, ganze Landstriche nicht zu verwüsten, um ein Körnchen „seltene Erden“ zu finden. Er kann es ja auch anders versuchen. Die Freiheit dazu hat er ja. Schön ist dabei auch, daß Respekt in allen seinen Facetten eine Art Evolution durchlaufen zu haben scheint. Respekt ist uralt. Sonst wären wir Menschen schon lange nicht mehr da.
Selbstbestimmung vs. Verantwortung
Im direkten Umgang miteinander ist es genauso: Verantwortung für das Gegenüber oder auch gegenüber den Kindern ist keine Einschränkung der möglichen Selbstbestimmung. Es ist keine Einschränkung erkennbar, nur weil man sich dem Wohl anderer unterwirft. Im Gegenzug gilt halt nur gleiches.
Ehre vs. Niedertracht
Welch eine altertümliche Sprache? Ach, ist das wirklich so? Das Ehrempfinden heißt nicht umsonst Empfinden. Es ist tief in der „Gefühlsevolution“ verwurzelt. Es ist ein bestens funktionierender „Gefühlsmechanismus“. Erst wenn der ausge­schal­tet wird, dann wird es brenzlig. Die Naziherrschaft war nicht die Überbetonung (soldatischer) Ehre. Sie war die Abwesenheit von Ehre. Das sollte Lehre genug sein.
Fürsorge vs. Ignoranz
Ebenso lang ist die (soziale) Evolution dieses Gegensatzpaares. Die Fürsorge darin ist nicht nur die gegenüber den eigenen Nachkommen zum Beispiel. Sie gilt ganz allgemein dem anderen und sie gilt der Schöpfung. Die Fürsorge umfaßt auch die für den Schwachen und Armen. Und sie umfaßt die Vorsorge auch für den anderen, nicht nur für sich selbst. Ignoranz aber entzieht jeder Gemeinschaft die Lebensgrundlage, auch wenn es manchmal geboten ist, nicht genau hinzusehen. Man muß eben nicht alles mitkriegen wollen.
Führung vs. Herrschaft
Führung ist die vornehmste Aufgabe jeder Politik – und die schwerste. So weit so gut. Führung ist aber ein Wert an sich. Er hat noch gar nichts mit irgendeiner Organisationsform zu tun. Demokratie ist zwar eine erstrebenswerte Organisa­tionsform, aber eben auch nicht mehr. Allein ist sie bedeutungslos. Und Führung war „schon immer da“. Nur weil die Stimme auch des „Geringsten“ Gehör finden muß, so heißt das eben noch lange nicht, daß Führung dadurch überflüssig wird. Ganz im Gegenteil: Die Abwesenheit oder gar das Vermeiden von Führung führt unweigerlich zur Herrschaft. Und Herrschaft ist die Verkrustung von Strukturen bis hin zum Infarkt.
Kooperation vs. Unterwerfung
Eine Variation, wenn man so will, ist das nächste Gegensatzpaar. Im Idealfall kann Kooperation Führung beinahe erset­zen. Sie liefe dann zumindest ein Stück weit von allein. Kooparation ist aber wiederum ein schon lange erlernter, ein evolutionärer Wert. Sie erhält das Gegenüber. Unterwerfung ist nur die Vernichtung. Kein Unterworfener hat jemals etwas zum Fortschritt beigetragen. Warum hätte er es auch tun sollen. Wenn er sich nicht mehr zur Wehr setzen oder weglaufen konnte, dann hat er eben auch nichts mehr für seinen Herrscher getan. Sklavenhaltergesellschaften waren noch nie lebensfähig.
Leistung vs. Verwertung
Etwas leisten dürfen, mehr leisten dürfen als sein Vorgänger, mehr leisten dürfen als sein Nachbar, all das ist ein grund­legender Wert an sich. Er berücksichtigt ein evolutionäres Prinzip. Dem inneren Drang, sich steigern zu wollen, muß die äußere Gelegenheit, sich steigern zu dürfen, beiseite gestellt werden. Diametral dagegen läuft der Verwertungsan­spruch, der auf irgendwelchen alten Rechten beruht, die womöglich noch vererbt sind. Das ist feudales Denken. Das steht jedem Leistungswillen entgegen.
Wohlstand und Wohlergehen vs. Umverteilung
Auf dem Leistungswert beruht auch der innere Wille, stets einen Mehrwert schaffen zu wollen. Und Mehrwert schaffen allein bedingt Wachstum. Letzteres ist allein deswegen nötig, um „Reibungsverluste“ auszugleichen. Der Ausgleich gelingt nicht nur durch Auffüllen eines Verlustes bis zum vorherigen Wert. Er gelingt immer nur durch das Überschreiten des vorherigen Wertes. Wohlstand und Wohlergehen aber gehen einher mit gleichzeitigem Wohlfühlen. Wer das als Wachstum von Glück bezeichnen mag, der soll es gerne tun. Allerdings funktioniert Wachstum nur, wenn der Respekt vor dem anderen und der Schöpfung beachtet wird. Selbstverständlich hat der Wunsch nach einem schönen neuen, viel bunteren Kleid etwas mit Selbstdarstellung und reichlich wenig mit einem „Grundbedürfnis“ zu tun. Das spielt aber keine Rolle, solange das Kleid resourcenschonend und zu guten Löhnen hergestellt wird. Es darf ruhig sehr teuer verkauft werden (die Schornsteine müssen rauchen). Denn der Preis liegt nur im Auge des Käufers – und ist verhandelbar. Wer damit Reichtum erwirbt, der kann ihn gerne behalten. Umverteilung, vor allem die „finanzindustrielle“ Umverteilung aber ist das Umgehen des Wunsches, stets einen Mehrwert schaffen zu wollen (Das was gern als Finanzindustrie dargestellt wird, ist nichts weiter als das Märchen vom Schlaraffenland. Ein Umverteilen, meist nur simples Abluchsen und Stehlen, ohne jeden Mehrwert. Geld kann kein Geld schöpfen. Es kann nur von einer Tasche in die nächste „wandern“).

Beispiele für die „praktische Anwendung“ des Wertekanons

Beispiel 1: Ausdruck des Strebens nach Mehrwert ist zum Beispiel ein Steuersystem, das Mehrwert belohnt (und wenig besteuert). Das Steuersystem ist ungeeignet als Instrument eines nachträglichen Gerechtigkeitsausgleiches. Gerechte Verteilung erfolgt vorher, beim Schaffen des Mehrwertes, durch gute Löhne.
Beispiel 2: Jedes Produkt sollte eine Zulassung erhalten, wie heute auch nach Sicherheit etc., aber auch nach folgenden Kriterien: Es muß leistungsgerechte Löhne „produziert“ haben und es muß in seiner kompletten Herstellungsbilanz resourcenschonend und wiederverwertbar sein. Damit ist es egal, wo und unter welchen Voraussetzungen es hergestellt wurde. Genügt es den Anforderungen nicht, ist es schlecht. Wäre das dirigistisch? Ja, aber man kann auch sagen: so sieht Führung aus, so sieht Orientierung an einem Wertekanon aus. Freiheit ist eben doch nur die einmalige Gelegenheit, sich selbst disziplinieren zu dürfen Wer diese Gelegenheit nicht nutzt, für den besorgen das im zweiten Anlauf eben andere.
Beispiel 3: Gibt es individuelle Unterschiede in der Leistung? Ja. Ist das schlimm und muß man da gegensteuern? Nein. Es kommt auf die Bandbreite an, nicht auf „alles ist, alle sind gleich“. Um die Bandbreite zu definieren, anzupassen und zu bewahren bedarf es politischer Führung.
Beispiel 4:Wäre das Ende des Kapitalismus gleich mit dem Ende des Geldes? Nein. Kapitalismus ist nur eine Variation von Feudalismus oder Kolonialismus. Er hat mit der Erfindung und der Bedeutung des Geldes gar nichts zu tun. Kapitalismus würde auch mit Kaugummis genauso ablaufen wie jetzt. Kapitalismus kennt Geld gar nicht – außer OPM (Other Peoples Money, Das Geld anderer Leute). Geld als Idee und Steuerungselement ist aber weitaus mehr. Und Verzinsung von Geld (als Kredit oder Anlage) ist auch in Ordnung, solange Leistungen und das Schaffen von Mehrwert dahinterstehen.
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im März 2013

Die innere Verfassung

Wie soll die innere Verfassung eines Staates aussehen, die sowohl Demokratie als auch Führung beinhaltet? Wie soll die innere Verfassung eines Staates aussehen, die selbstbestimmte Menschen als auch schnelle Reaktionsfähigkeit seiner Verwaltungsorgane kennt? Wie soll die innere Verfassung eines Staates aussehen, die die Mitsprache seiner Menschen als auch die zügige und natürlich preiswerte Realisierung von Infrastrukturmaßnahmen, die im Verlaufe ihrer Entstehung eventuell noch korrigiert werden müßten (soll ja vorkommen),  integriert?

Die bürgerliche Lösung hat sich als untauglich erwiesen. Sie pendelte zwischen „Every-Bodies-Darling“ und „Basta“ mehr oder weniger uninspiriert hin und her. „Fertig“ wurde eigentlich kaum etwas. Die Ursache suchte man gern irgendwo zwischen staatlicher Inkompetenz und privatwirtschaftlicher Initiative, obwohl es eigentlich nur den Unterschied zwischen guten und schlechten Lösungen gibt.
Einmal anders skizziert, könnte das so aussehen:
Parlamentarismus und repräsentative Demokratie (aus Gründen der Praktikabilität) waren und sind zwar gute Lösungen, sie müssen aber weiter ausdifferenziert werden. Gleiches gilt für Parteien darin, die selbstverständlich Interessen­vertretungen sind (weniger weltanschaulich homogene Gruppierungen). Aber: Parteien sind nicht die politischen oder gesellschaftlichen Interessen eines Staates, sie bündeln sie höchstens, soweit es überhaupt einen ganz spezifischen Willen einer staatlichen Gemeinschaft gibt. „Volkes Wille“ wird schnell auch zu einer gelenkten oder leicht manipulierbaren Klamaukveranstaltung. Eine Volkspartei wird schnell zum Karnevalsverein.
Demokratie und Selbstverwaltung müssen dabei auch noch im schlanken unternehmerischen Staat etabliert werden, der nur mit und von seinem unternehmerischen Geschick, Mehrwert zu schaffen, lebt. Unternehmerisch heißt dabei: Leitideen voranbringen, auch ökonomische Neuausrichtingen, Großprojekte oder „Leuchtturmprojekte“ voranbringen,  also zu führen. Es heißt aber nicht, größter Arbeitgeber für „Staatsbürger“ zu sein, der nachfolgenden Generationen nur Pensions­lasten beschert; er leistet Fürsorge, aber er ist nicht Ersatzmutter; er stellt ein wichtiges Element der Heimat dar, aber er ist nicht Heimat.
Noch eimal zu den Parteien, die auch deswegen notwendig sind, damit Menschen sich zur Durchsetzung ihrer Interessen überhaupt zusammenschließen können. Die Stimme eines jeden zählt gleich, aber wenn man Mitstreiter findet, geht es halt leichter. Daß die Parteien dabei als Sammlung von Menschen auftreten, die ihre Leute bei Wahlen unterstützen, ist dabei völlig in Ordnung. Wichtig ist dafür zu sorgen, daß jeder Gewählte verantwortlich gemacht werden kann, nicht nur gegenüber „seiner“ Partei. Ein sogenanntes imperatives (Parteien-)Mandat ist sehr schädlich, denn es zementiert den Einfluß der Partei hinter dem Gewählten. Damit wird Demokratie ausgehöhlt: die Verantwortung des Gewählten, des Deputierten, gegenüber allen (seinen Wählern in seinem Wahlkreis) wird reduziert auf die Verantwortung gegenüber wenigen Parteitagsdelegierten.
Was zählt ist die Gewissensentscheidung, die vielgerühmte. Es zählt aber auch die direkte Verantwortung dafür. Und es zählt die Trennung von Amt und Mandat, allein schon wegen der Gewaltenteilung. Wer ein Ministeramt zum Beispiel bekleidet, der darf nicht aus Gründen der Absicherung, falls es schief geht, ein Mandat behalten.
Die direkte Verantwortung des Abgeordneten gegenüber allen Menschen seines Wahlkreises (Da kann man gerne auch eine Altersgrenze komplett weglassen, das macht die Sache spannender. Wie heißt es doch: „Kindermund spricht Herzensgrund“. Darauf darf man ruhig einmal hören!) kann durch eine Quartalsbewertung mit Quorum, aus Gründen der Vorbeugung gegen persönliche Abrechnungen, ins Werk gesetzt werden. Die Bewertung liefert Punkte für die Wieder­wählbarkeit oder im Extremfall für den „Rauswurf“. Wie heißt es so schön: fördern und fordern oder „den Leidensdruck erhöhen“.
Voraussetzung ist allerdings nicht nur das Interesse der Staatsmenschen. Da kann man auch nachhelfen: wird ein grundlegendes Beteiligungsquorum nicht erreicht, dann war die Sache halt umsonst und muß wiederholt werden. Voraussetzung ist aber auch die ständige und direkte Information eines jeden Staatsmenschen über alles beziehungsweise reichlich viel. Ja, Demokratie kostet Blut, Schweiß und Tränen. Vor allem Schweiß. Sie ist anstrengend.
Die direkte Information setzt weiterhin nicht nur so etwas voraus wie „Schnelles DSL bis ans und ins Bett“. Sie setzt auch eine strukturierte und verständliche Aufbereitung aller relevanten Daten voraus.
Zugegebenermaßen liegt hier auch eine große Stolperfalle: alle relevanten Daten. Wer selektiert hier und nach welchen Kriterien? Muß das mehr umfassen als die Information über den nächsten Briefkasten? Wer soll denn ohne Studium zum Beispiel durch die Darstellung der Steuereinnahmen und deren Verteilung noch durchblicken?
Nun, das Leben und speziell die Demokratie sind kein Ponyhof. Jeder einzelne muß sich schon auf seinen gesunden Menschenverstand verlassen, wenn er sich die Daten (sehr umfassend) anschaut. Aber erstens kann man jemanden fragen und zweitens reicht der besagte Menschenverstand meistens sogar schon aus. So kompliziert ist zumindest das politische Universum auch wieder nicht.
Direkte Verantwortung und direkte Mitwirkung kann es auch bei großen Infrastrukturprojekten geben. Dies aber bitte schön nach Betroffenheit. Geht es alle etwas an, denn sollen auch alle mitwirken. Geht es nur eine Auswahl etwas an, dann sollte auch nur diese Auswahl mitwirken. Auch hier ist Voraussetzung Interesse (Quorum) und Information. Technisch läßt sich auch das über Bewertungen via Internet lösen. Und auch hier kann quartalsweise „begutachtet“ und über Änderungen entschieden werden. Allerdings kann so auch ein Projekt „eingestampft“ werden.
Letzteres ist ein sehr bedeutsamer Unterschied zum jetzigen bürgerlichen „Dasein“. Wenn etwas, und sei es nach fünf Jahren schwerster und teuerster Arbeit, sich als Unsinn herausstellt, dann muß es beendet werden. Das ist keine Frage von Schuld und Sühne. Es ist auch keine Frage von: „Das hätte man vorher wissen müssen. Jetzt müssen wir da durch“. Es ist eine ganz natürliche Erscheinung: die nennt man Lernen.
Ganz besonders ist in der direkten Mitwirkung noch ein Aspekt: die direkte Wahl der ganzen Regierung, komplett. Die Repräsentanten (das Parlament) haben sich ganz auf die Legislative zu konzentrieren. Sie dürfen gern die Regierung überwachen und auch Vorschläge für eine Ablösung machen. Darüber entscheiden sollten sie nicht. Denn auch die Regierung muß sich im festen Rhythmus für ihr Handeln recht­fertigen, vor allen. Sie darf sich gerne selbst intern umbesetzen und auch nach erster Installation „Ersatzmaß­nahmen“ ergreifen. Direkte Beteiligung ist nicht Gängelung. Die Regierung braucht einen Handlungsspielraum und einen gewissen Vertrauensvorschuß. Wenn der aber aufgebraucht ist, dann darf sie gehen, ohne daß dabei wichtige Gesetzesvorhaben, die einen längeren Vorlauf brauchen, dadurch gefährdet werden, daß das Parlament gleich mit geht.
Zum Abschluß noch einmal zum schlanken, unternehmerischen Staat zurück, dessen „Schlankheitscharakter“ auch für die Selbstorganisation der Staatsmenschen gilt. Gemeint ist die Selbstorganisation der Kommunen und Regionen. Die ist durchaus etwas anderes als das jetzige föderale System. Sie ist eine flexible Zusammenkunft von Menschen, die für sich einen landsmannschaftlichen oder kulturellen oder politischen oder wirtschaftlichen Hintergrund als gemeinsame Basis feststellen. Das augenblickliche föderale System hat viele historische Grundlagen, aber keine gewachsene Basis. Eine Basis, die die Menschen darin ganz allein für sich so postulieren würden.
Die Größe einer Selbstverwaltungseinheit hat sehrwohl etwas mit ihrer politischen und wirtschaftlichen Lebensfähigkeit zu tun. So etwas kann sich aber im Laufe der Zeit ändern. Darauf muß man flexibel reagieren können. Die reine Betrachtung von Verwaltungskosten als Basis erzeugt nur Verwaltungseinheiten, aber keine lebendigen Strukturen, die von den Menschen aktiv getragen werden. Und wenn sich halt einmal „Kleinkleckersdorfianer“ zusammenschließen wollen, dann sollen sie es halt tun. Sie werden von allein merken, wann es Zeit ist, zu „fusionieren“.
Und das Netz der Wahlbezirke für das „große“ Parlament? Nun, das wird halt einfach nach rein mathematischen Gesichtspunkten (Sitze pro Köpfe) darübergelegt. Das gibt dann eine gewisse Synthese aus reiner Mathematik und regionaler Vertretung. Und wo das einfach nicht akzeptiert werden mag, und wo es einfach einen „Sonderabgeordneten“ geben muß – dann gibt es den halt. Das ist deshalb nicht so wichtig, weil die Parteien „ihren“ Abgeordneten ja gerne auf’s Pferd helfen dürfen. Reiten müssen sie aber allein. Denn sie müssen sich ja allen Menschen ihres Wahlkreises gegenüber direkt verantworten, nicht nur gegenüber einem Parteitag.
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im März 2013

Mehrwert und Erwerbsleben

Der Sinn allen Wirtschaftens, der Sinn des Erwerbslebens ist das Schaffen von Mehrwert, auch in der Form des Arbeits­lohnes: Mehrwert für das eigene Leben und das der Kinder. Der Sinn des bürgerlichen Erwerbslebens dagegen ist der Raubzug, der Diebstahl: das ist das „Umverteilen“, das Abluchsen, das Abpressen, ohne daß dabei ein Mehrwert geschaffen wird. Ausdruck findet dies insbesondere in der sogenannten Finanzindustrie, die prinzipiell schon keinen Mehrwert schaffen kann, denn Geld kann kein Geld schöpfen; auch nicht im vollautomatisierten Computerhandel, der nur die neue Form eines alten Märchens ist: das Märchen vom Schlaraffenland. Auch mag es sein, daß derartiges bürgerliches Wirtschaften im Menschen „drinsteckt“. Gleichwohl muß niemand das in einer organisierten Gemeinschaft als gottgegeben hinnehmen.Ähnliches gilt für die Hochtechnologie, insbesondere in der Werkstofftechnologie auf Basis von Nanotechniken, die das gesamte gewohnte Bild „Rohstoffsuche und -gewinnung, Verarbeitung zu Vorprodukten, Produktion und Verbrauch“ verändert. Verbrauch ist dabei besonders zu beachten, da es dieses Ende einer Wertschöpfungskette tatsächlich ja gar nicht gibt. Die „Reste“ müssen weiter verwendet werden, sonst ist die ganze Sache recht schnell am Ende. Wichtig aber hier ist, daß die „Führerschaft“ nur noch von geistigen Leistungen abhängt. Und die können jederzeit und überall entstehen. Da gibt es nichts zu regeln. „Erfindergeist“ als „Sicherung von Vorsprung und Wirtschaft“ kennt keine Grenzen und läßt sich nicht reglementieren; also läßt sich auch keine Vormachtstellung erringen. Und überhaupt: Wozu sollte die gut sein? Muß man dann nichts mehr leisten und kann man sich dann „wieder hinlegen“
Wie aber kann dann ein Erwerbsleben in einer hochtechnologisch bestimmten und automatisierten Industrie aussehen, in der Menschen doch gar nicht mehr gebraucht werden, zumindest nicht in der Produktion? Und eigentlich auch nicht mehr so richtig beim „Vordenken“. Viele Weiterentwicklungen sind mehr oder minder zwangsläufig. Und wie soll die Dienst­leistung in unserer angeblichen Dienstleistungsgesellschaft (Womit zur Zeit natürlich die Finanzdienstleistung gemeint ist, da die so wundebare Zuwachsraten beschert, allerding ohne Mehrwert.) aussehen? Putzen wir uns alle gegenseitig die Schuhe? Oder macht das die „Unterschicht“ der Ungelernten für die „Elite“? Und wer ist das nun wieder genau?
Sucht vielleicht deshalb niemand wirklich nach alternativen, umwelt- und ressourcenschonenden Lebens- und Produk­tionsweisen, weil sich dann niemand mehr ein geeignetes Erwerbsleben vorstellen kann? Wie also sollte in einer utopischen, sauberen Welt der „Broterwerb“ aussehen?
Noch deutlicher gesagt:
Raumschiff Enterprise könnte Realität werden: Produktion ist gleich Manipulation der Werkstoffe auf atomarer Ebene, alles ist aus allem herstellbar, ohne Müll. Aber was macht dann das Erwerbsleben aus?
Keine Rohstoffsuche und –ausbeutung mehr nötig; aber was macht dann das Erwerbsleben aus?
Energiegewinnung direkt aus der Sonne; aber was macht dann das Erwerbsleben aus?
Noch einmal: Das alles ist keine „Preisfrage“; hier kann nichts durch Verlagerung in Billiglohnländer gelöst werden. Es kann auch nichts erobert oder beherrscht werden. Es kommt nicht mehr darauf an, irgendwelche Rohstoffquellen zu beherrschen. Es kann auch nichts mit Geld geregelt werden. Eine „Finanzindustrie“ ersetzt keine notwendige Wert­schöpfung und keine notwendige, globale Diversifizierung. Und die Bildung kann hier auch nicht helfen, denn wir sind nun einmal nicht alle „Nanotechnologen“, genausowenig wie wir in den letzten drei Jahrzehnten alle „IT-Manager“ und „Techniker“ oder „Mathematiker“ geworden sind.
Nun, dann werden wir eben alle wieder Bauern, ja „Graswurzler“. Wir drehen einfach das Rad so umundbei 10.000 Jahre zurück, vor die erste Stadt. Denn die Stadt steht für Differenzierung der Arbeit, Geldwirtschaft und stark ausdifferenzierte Gesellschaften. Denkbar wäre das durchaus. Nur fliegen wir dann niemals zum Mars und machten auch niemals noch ganz andere Erfahrungen und Entdeckungen. Das liegt einfach nicht in der Natur des Menschen. Wir wären auch sonst schon lange nicht mehr da.
Ein weiterer Blick auf „die erste Stadt“ macht aber auch dies deutlich: Arbeitsteilung war und ist bis zu einem gewissen Grad zwangsläufig, zumindest folgerichtig (Die Kupferverhütter in der Nähe der Erzvorkommen machten nur das, daher brauchte es Bauern zur Versorgung und Weber für die Kleidung, die wiederum ja auch nichts weiter machten als Weben). Für kleine Gemeinschaften von Selbstversorgern macht technische, geistige und gesellschaftliche Weiterentwicklung fast keinen Sinn, ja würde stören. Denn der Tag hat nun einmal nur 24 Stunden. Für einen „Alles-Selbst-Machen-Wollenden“ ist das definitiv zu kurz.
Was keineswegs zwangsläufig war und ist, sind die gesellschaftlichen Strukturen und Denkweisen, die parralel dazu entstanden sind. Sklavenhaltergesellschaften waren und sind zu keiner Zeit lebensfähig. Sie waren und sind leistungs­feindlich, unproduktiv und fortschrittsbehindernd.
Das einzige, das wir Menschen tatsächlich beeinflussen und kontrolliert entwickeln konnten und können, das sind wir selbst. Wir können nur uns selbst beherrschen. Die Annahme, wie wären an der Spitze irgendeiner Kette oder hätten die Natur „gezähmt“ ist nichts weiter als blanker Unsinn. Nichts als Ausdruck maßloser Selbstüberschätzung. Nichts als ein Merkmal von vielen der aktuellen bürgerlichen Klamaukpolitik.
Mehrwert und Leistung und Beweglichkeit und Innovation und Fortschritt gehören in den Vordergrund gestellt. Das ist durchaus antikapitalistisch und damit antibürgerlich, denn Kapitalismus ist nichts weiter als eine Reinkarnation, ein Fortschreiben des Feudalismus, der leistungsfeindlich auf Ausnutzung behaupteter Vorrechte und als unabdingbar deklarierter Voraussetzungen beruht. „So lange die Autos nicht mit Wasser laufen, machen wir weiter wie bisher“. Nun, tatsächlich könnten die Autos längst damit laufen, nämlich mit Wasserstoff in Brennstoffzellen zum Beispiel, aber das wollen wir ja nicht. Damit hätten wir zwar Vorteile, ja vielleicht sogar neue tolle Geschäftsmöglichkeiten, aber es würde alle gültigen gesellschaftlichen Strukturen eventuell auf den Kopf stellen.
Gleiches gilt für Herrschaftsstrukturen: die sind leistungsfeindlich und dienen nur der Bewahrung vorhandener Positionen. Sie sind untauglich für Veränderung – und Verbesserung ist auch nichts weiter als Veränderung.
Es geht im wesentlichen nur darum, gesellschaftliche und geistige Flexibilität und Zutrauen zu eigenen Möglichkeiten zu gewinnen. So wie vor den besagten 10.000 Jahren die Menschen eine aus ihrer Sicht sinnvolle Veränderung ihres Verhaltens vorgenommen haben, und das haben sie in vollem Bewußtsein getan.
Industrielle Arbeit war immer und ist auch weiterhin im wesentlichen Anlerntätigkeit. Die Ausbildung hilft dabei (bei der Dauer des Anlernens und bei der beruflichen Weiterentwicklung, sie kann, muß aber nicht, für „höhere Aufgaben“ qualifizieren). Daraus folgt, daß auch der „Ungelernte“ hier weiterhin Arbeit findet, wichtig sind persönliche und geistige Fähigkeiten des einzelnen. Und vor allem ist es die Erkenntnis, sich fortwährend weiterentwickeln zu wollen. Wenn die Welt sich schnell dreht, nun dann drehen wir uns eben mit. Bildung ist damit kein Einstiegsfaktor und Positionsgarant mehr wie für die aussterbende bürgerliche Art, sie ist fortlaufende Aufgabe.
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, warum ich vor der Zukunft Angst haben sollte. Wer hier und heute vor Ungelernten Wanderarbeitern warnt, hat im Grunde nur Angst davor, die könnten dazulernen und die könnten bessere Leistungen erbringen. Egal wie hochtechnisch die industrielle Produktion auch werden mag, es gibt darin nichts, was nicht erlernt werden könnte.
Immer daran denken: „Wer keine Arbeit hat, der macht sich welche.“ Und so werden die „Schornsteine weiter rauchen“. Der heute so hochgelobte Effizienzgedanke meint doch nur eines: alles haben wollen und nichts bezahlen. Das wäre zwar 100% effizient, aber Wirtschaften ist es nicht. Denn es fehlt der Mehrwert, es fehlt die ganze Wertschöpfungskette. Und so erhält die alte Weisheit „Was nichts kostet, taugt nichts“ eine ganz neue Bedeutung.
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im Februar 2013

Der unternehmende Staat

Die bisherige Diskussion in diesem unserem Lande krankt an zwei wesentlichen Punkten: Erstens erhält sie einen Antagonismus zwischen (privatem) Kapitalismus und (staatsreglementiertem) Sozialismus künstlich aufrecht, ohne auch nur im geringsten erkennbare Lösungsmöglichkeiten oder Alternativen aufzuzeigen. Zweitens wird sie ausschließlich auf abstrakten Grundlagen geführt: diffuses Gerechtigkeitsempfinden anstelle von anerkannten Regelmechanismen, über allem thronende Marktregeln anstelle von Wirkungszusammenhängen. Im Ergebnis existieren nur noch rein theoretisch-physikalisch nachvollziehbare Phänomene: Jedes System hat ganz offenbar eine kleinste Größe, ab der es funktioniert; jedes System hat eine kritische Größe, bei der es auseinanderfällt. Im politischen Raum aber führt dies alles schlichtweg zum Nichtstun. Der Diskurs, der Streit ist dann so sinnvoll wie das Streiten über Mode – sinnlos. Mein Anliegen ist es, eine Lösung zu erarbeiten, die langfristig funktioniert; eine Lösung zu erarbeiten, die ausbaufähig bleibt. Diese Lösung nenne ich den unternehmenden Staat. Doch zuvor noch zwei Bemerkungen.

Die Diskussion um Kapitalismus und Sozialismus jetzt beenden, ich bitte sehr darum!

Der Kapitalismus krankt nicht so sehr an Überbetonung von Gier oder mangelndem Gerechtigkeitssinn, er hat ganz andere Webfehler. Kapitalisten sind zum Beispiel deshalb sehr gerne Kriegsgewinnler und Leichenfledderer (Mergers and Acquisition), weil sie ängstlich, zaghaft und konzeptionsbeschränkt sind.
Deshalb können Kapitalisten nur unter den Bedingungen undemokratischer, starrer Systeme existieren. Sie ertragen die Unsicherheit, die allem Tun in diesem Universum nun einmal zugrundeliegt nicht (Es gibt auch so etwas wie eine politische Quantenmechanik). Deshalb sind sie hochgradig innovationsfeindlich. Sie ergreifen neue Chancen nicht, sie fürchten sie. Jede Veränderung bedeutet für sie nichts als unkalkulierbares Risiko. So war es bei der Einführung der Eisenbahn auch. Die Kapitalisten sprangen erst auf den Zug auf, als dieser schon unterwegs war. So wird es auch künftig sein, wenn zum Beispiel die Autos mit Verbrennungsmotor abgelöst werden müssen. Dazu bräuchte man nämlich Risikokapital. Und das kennt der Kapitalist nicht. Der kennt nur sichere Renditen im Altbewährten. Auch aus diesem Grunde stürzen sich Kapitalisten gern auf Bereiche wie die Energieversorgung.
Zu dem Beispiel der Energieversorgung noch zwei Nebensätze: Der in den letzten Jahren hier eingeführte Wettbewerb zwischen Stromanbietern ist nur ein Potemkinsches Dorf. Das sind nur Marketingmaßnahmen, um jeden Kunden erreichen zu können. Das Standardmodell im Lebensmitteleinzelhandel dazu heißt ABC-Markenstrategie. Zweitens: Alles was im Energiesektor Anfangsinvestitionen und Erhaltungsinvestitionen (Stichwort „Netze“) erfordert, liegt dabei außerhalb des kapitalistischen Interesses.
Im übrigen ändern auch die fälschlicherweise Investoren genannten Investmentbanker daran nichts. Das sind nur Hasardeure beziehungsweise (in den 1920er und 1930er Jahren in den USA so genannt) Raubritter. Sie schaffen keine neuen Werte und sie bringen auch keine neuen Technologien voran. Sie verteilen nur um.
Und noch ein Satz zum Auswendiglernen: Wettbewerb ist der Vorgang mit dem Ziel, sich am Ende selbst abzuschaffen. Kurz: Jeder Wettbewerb führt zwangsläufig zum  Monopol. Jeder unnötige, künstlich installierte Wettbewerb führt schneller dahin. Dafür aber nicht so auffällig.
Der Sozialismus hat dagegen ein ganz anderes Manko. Er ist keineswegs nur zu behäbig und reaktionsträge. Er postuliert nicht nur Grundbedürfnisse, auf deren Erfüllung es allein ankomme (Das ist, ganz ehrlich, der größte Quatsch aller Zeiten. Produkte, die Freude machen, sind grundsätzlich gute Produkte. Freude zu empfinden ist Bestandteil des Wohlergehens und Wohlfühlens jedes einzelnen. Nur kann eine ganze Volkswirtschaft nicht auf Klingeltönen basieren). Der Sozialismus ist vor allem nicht austauschfähig. Man kann mit ihm nicht wechselwirken. Wie der Kapitalismus auch, braucht er eine starre Umgebung. Selbst wenn man bestimmte Bereiche, auch nicht als glühendster Marktradikaler, nicht dem „freien Spiel der Kräfte“ aussetzen will, zum Beispiel Trinkwasser, so ist die sozialistische Zwangsbewirtschaftung und Zuteilung nicht die adäquate Antwort.
Die augenblickliche, die öffentliche, die bürgerliche Reaktion ist genau das: Reaktion, Restauration, Rückschritt, Wiederherstellung einer Feudalwirtschaft mit Konzentration von Boden, Produktionsmitteln, Energie, Wasser und Lebensmitteln in der Hand weniger, mit Unfreien und mit Bürgerlichen, die für die wirklich Mächtigen die Hofnarren geben.
Mir dagegen ist an einer fortschrittlichen, erweiterbaren und dauerhaften Alternative gelegen.

Der unternehmende Staat

Früher gab es ab und an weise Könige, die ihre Untertanen in die richtige Richtung brachten. Sie führten. Nun, in einer Demokratie, und die behalten wir doch besser bei, kann man das auf seinen Staat (leihweise) übertragen. Wobei es in diesem Aufsatz nur um die technische Funktionsweise geht. Die innere Verfassung ist ein eigenes Aufsatzthema.
Mein unternehmender Staat gibt mehr als nur Hilfestellung, er macht mehr, als nur Leitplanken in die Landschaft einzuziehen. Er ist das Instrument der Führung der staatlichen Gemeinschaft. Aber er ist eben nur ihr Werkzeug.
Mein unternehmender Staat lebt ausschließlich von dem, was sein Unternehmertum hervorbringt. Er lebt ausschließlich vom Mehrwert, in der Praxis also von der Mehrwertsteuer, die auch keineswegs großartig wachsen muß. Und mehr bekommt er auch nicht, auch nicht durch noch so ausgefallene Steuerideen. Daher kann er nur in einer industriellen Form existieren (Finanzdienstleistungsgesellschaften können das nicht, da sie nur umverteilen). Und er braucht Wachstum. Aber auch hier ist an dieser Stelle nur von der technischen Funktionsweise die Rede. Auch hier ist die Ausformulierung des Wertekanons ein eigenes Aufsatzthema (Art des Wachstums und der Gradient).
Mein unternehmender Staat ist ein schlanker Staat. Er kann nicht Lebensgrundlage an sich sein, wie der Staat es augenblicklich für die Staatsbürger ist, die ja nur deshalb so heißen, weil sie aus dem Staat heraus leben, ohne etwas zum Mehrwert beizutragen.
So ganz nebenher erwähnt: der aktuelle Zustand läßt einen Übergang zu einem neuen Staat nur durch eine Art Insolvenzplanverfahren in Eigenverantwortung zu. Der augenblickliche Zustand hat durchaus etwas ausgeprägt Konkurshaftes.
Noch ein wichtiger Hinweis: Nicht gemeint ist ein Staat, der nur gesetzliche Rahmenbedingungen schafft, um Privatunternehmen Einkunftsmöglichkeiten zu schaffen, die diese sonst nicht hätten. Zum Beispiel, wenn für die elektronische Steuererklärung in der „Vollversion“ von den Nutzern Kartenleser und Zertifikate sowie sonstige Software gekauft werden müssen. Solche „Unternehmungen“ haben den Charakter des Zehnten oder adeliger Jagdrechte im Mittelalter, wie viele der augenblicklichen Privatisierungsbestrebungen auch, zum Beispiel zum Thema „Wasser“. Solche Leistungen seiner Verwaltung hat der Staat selbst zu erbringen, dafür erhält er Steuern.

Die Funktionsweise des unternehmenden Staates

Der unternehmende Staat funktioniert wie „Mister 51%“. Er ist aktiver Marktteilnehmer. Jeder ist aber gleichzeitig eingeladen, ja aufgefordert, sich bei (neuen) Unternehmungen, sagen wir einmal beim Umbau der Energieversorgung, einzubringen. Einbringen heißt, von Anfang an das Risiko mitzutragen.
Da genau dies aber nicht funktioniert (in diesem Sinne sind Investoren eben auch nur Menschen), geht mein unternehmender Staat halt voran. Er trägt das Anfangsrisiko. Und deshalb erhält er auch das größte Stück vom Kuchen. Und falls später jemand einsteigen möchte, so ist er willkommen. Er kann sogar die Mehrheit erwerben. Aber eben nur erwerben, nicht geschenkt bekommen, weil „Privat vor Staat“ oder so ähnlich. Und er darf gerne das Anfangsrisiko, daß er ja nicht hat tragen wollen, nachträglich kräftig ausgleichen. Will er das alles nicht, nun, dann ist er eben Minderheitsgesellschafter. Ist ja auch ganz schön, wenn er mitarbeitet, also Leistung erbringt, die es wert ist, bezahlt zu werden.
Mein unternehmender Staat macht aber noch etwas ganz besonderes. Er soll ja nicht als Oberkonzern über allem schweben. Daher stützt er sich auf die vielen kleinen Kleinkapitalisten, die in jedem von uns schlummern. Das ist der Genossenschaftsgedanke, der dahinter steckt.
Ein Beispiel mag das verdeutlichen. Bauen wir dazu einfach einmal eine neue Eisenbahnstrecke quer durchs Land und erschließen so ganz nebenbei noch bisher vernachlässigte Räume. Und setzen wir einfach voraus, das sei zu unserem Nutzen und deshalb wollen wir das auch. Und überdies statten wir die Lokomotiven noch mit einem alternativen Antriebskonzept aus, sagen wir einmal mit Brennstoffzellen.
In althergebrachter Art und Weise würden die Bürgerlichen jetzt nach einem Großinvestor suchen, einem, der ihnen alles, auch das Denken und Führen, abnimmt. Nehmen wir einmal an, den finden wir nicht, weil das Risiko einem Investor zu groß ist, und weil das Konsortium, das sich ganz schnell bildet auch ganz schnell wieder auflöst, weil so ein Konsortium für gewöhnlich das Fell des Bären verteilt, bevor dieser erlegt ist.
Mein unternehmender Staat kann nun allein anfangen oder er kann mit seinen Menschen entlang der Strecke zusammen Genossenschaften bilden. Die können dann den Bau durchführen. Sie können auch den Betrieb übernehmen. Müssen sie aber nicht. Sie können später gern (groß-)kapitalistische Teilhaber für den Betrieb suchen, sofern die leistungsfähig sind und sich vor allem leistungswillig zeigen. Und sofern sie einen Ausgleich für das Anfangsinvest leisten.
Auf diese Art und Weise ist ein ständiger Austausch zwischen „Privat“, „Genossenschaftlich Privat“ und „Staat“ möglich. Und genau darauf kommt es mir an. Die Dinge bleiben im Fluß. Nichts führt zu schneller Erstarrung (Alterserstarrung aber gibt es natürlich auch hier wie überall). Und der wesentliche Unterschied zu jetzt ist, die Dinge kommen überhaupt erst einmal in Bewegung. Und genau das macht „Unternehmen“ aus. Eine gutgemeinte Idee in den Sand zu setzen ist bei weitem nicht so schlimm, wie gar keine Ideen zu haben. Und eine Niederlage zu ertragen ist bei weitem nicht so schlimm, wie die Feigheit es erst gar nicht zu versuchen.
Allerdings sind es immer die Menschen, die etwas tun oder lassen. Den Bürger, den kann man dafür nicht mehr gebrauchen. Der hat einfach nichts von dem Esprit und der Tapferkeit, die man beides braucht, um frohgemut durch diese ach so komplizierte Welt zu wandeln.
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im Februar 2013

Eine (neue) Mitte der Gesellschaft

Wir sind die Mitte! Wo wir sind, da ist die Mitte! Wir sind die bürgerliche Mitte! Und so weiter und so weiter…
Wer aber soll das sein? Wer sind die „Mittigen“? Sind das die „Staatsbürger“? Nun, wenn das so ist, dann ist es um die Mitte aber schlecht bestellt. Der „Staatsbürger“ ist doch der, in Abgrenzung zum „Bildungsbürger“ und zum „Besitzbürger“, der den Staat, der die Gesellschaft verwaltet. Der also direkt von der Gesellschaft ernährt wird. Der aber selbst nichts zum Erschaffen der Werte, aus denen er ernährt wird, beiträgt. Wie soll das funktionieren? Ein Perpetuum Mobile existiert nun einmal nicht.
Für mich verblüffend ist auch, daß hierzulande jeder von sich behauptet, er gehöre zur Mitte. Alle streben zumindest dahin. Tatsächlich tummeln sich im Zentrum unserer Gesellschaft ungeordnet alles und jeder. Die Mitte, das Zentrum, ist jetzt ein waberndes, undefinierbares Etwas, das zudem noch chaotisch Tentakeln in alle Richtungen ausstreckt und wieder einzieht. Die Mitte ist im Augenblick ein undefinierbarer Klumpen.
Wenn nun dieser Klumpen Stöße von außen erfährt, sogenannte Krisen, dann fängt er an zu zittern und schwingt regellos vor sich hin. So ein Objekt ist alles andere als stabil. Ständig werden Bröckchen von ihm abgeschlagen. Seine Laufruhe ist katastrophal. Auf so einem Objekt ist in diesem Universum kein gesellschaftliches Leben möglich.

Ein Stabilitätszentrum, das diesen Namen auch verdient

Ich will es einmal mit einem neuen Bild von einer Gesellschaft versuchen. Ich stelle mir die Gesellschaft als einen Kreisel vor. Einen rotierenden Kreisel mit einer Scheibe in Äquatorebene, der Lebensscheibe der Mitglieder der Gesellschaft. Im Zentrum des Kreisels ist die Hauptmasse homogen verteilt. Der Kreisel ist stabil. Erfährt er von außen irgendwelche „Kraftstöße“, so richtet er sich wieder auf. Soll er schneller oder langsamer laufen, dann werden kleine Massen in der Scheibenebene gleichmäßig nach außen oder nach innen bewegt. So kann er seine Drehzahl regeln.
Innen im Zentrum, in der Mitte meines Kreisels sind die Unternehmen und die Arbeiter konzentriert. Aber nicht dergestalt, daß sie über- oder nebeneinander in starren Schichten liegen. Denn dadurch könnte die Massenverteilung heterogen werden, da nicht flexibel auf Einflüsse von außen reagiert werden könnte. Der Kreisel wäre dann nicht stabilisierbar.
Deshalb umschließen sie sich wie zwei knetbare oder zäh fließende Massen. Ihre innere Struktur bleibt in Bewegung, bleibt anpassungsfähig. Im Schnittbild sieht das dann in einer Momentaufnahme fast so aus wie das Yin-Yan-Symbol: zwei Teile die einander stabilisieren, die einander halten, die ohne den jeweils anderen nicht am Platz blieben.
Um dieses Zentrum herum ist die „Staatshaut“ gespannt. Eine reißfeste, gleichwohl dehnbare Haut, die zudem auch noch „atmungsaktiv“ ist. Sie hält die Kernmassen am Platz.
Diese Haut kann sich auch in Teilen auf die Scheibe in der Äquatorebene ausdehnen und so die Drehzahl des Kreisels regulieren. Oder sie läßt zu diesem Zweck Teilmassen aus dem Zentrum nach außen dringen und wieder zurückgleiten. Oder auch umgekehrt von außen nach innen.

Was aber hält das Stabilitätszentrum wiederum zusammen, was ist der Kernkit?

Nun, da das „Schichtmodell“ einer Gesellschaft im Zentrum des Kreisels nicht funktioniert, kann es kein hierarchischer Kit sein. Wer da nach Herrschaft strebt, der stellt eine lebensbedrohende Gefahr für den ganzen Kreisel dar. Der Kern muß in sich flexibel bleiben. Das gilt auch für das Streben nach Reichtum, das nur ein Synonym für das Streben nach Herrschaft ist. Herrschaft ist Starre, ist Erstarrung.
Bedeutet das dann, daß mein Gesellschaftskreisel doch nur auf einem sozialistischen Einheitsmodell oder auf einem esoterischen „Friede-Freude-Eierkuchen-Modell“ beruht? Bin ich nur einer der vielen auf dem Weg nach Shangri-la? Nein, bin ich nicht.
Die beiden Kernelemente werden geleitet durch das Streben nach Wohlstand und Wohlergehen. Beides soll dabei auch noch wachsen, in langfristiger Perspektive leicht aber stetig wachsen.
Das „Streben nach Wohlstand“ ist gleichbedeutend mit dem Schaffen von Werten, mit Wertschöpfung. Das kann nur in einer industriellen Wirtschaft stattfinden. Die sogenannte Dienstleistungsindustrie (das ist die Finanzdienstleistungs­industrie) kann das gar nicht, denn dort werden keine Werte geschaffen. Geld kann kein Geld schöpfen. Und die Antwort ist ein eindeutiges und lautes „Ja!“ Die Frage: „Ist industrielle Wertschöpfung schweißtreibend und anstrengend?“
Das Streben nach Wohlergehen dabei bedeutet, daß beide Kernelemente während des Prozesses der Wertschöpfung schon leistungsgerecht untereinander verteilen. Während der Wertschöpfung! Nicht hinterher durch nachträgliche Alimentierung, um irgendeinen Gerechtigkeitsausgleich herbeizuführen.
Der Prozeß der Wertschöpfung, das Arbeiten der beiden Kernelemte meines Kreisels selbst ist schon Bestandteil des Wohlergehens. Die Arbeit selbst wird damit zur inneren Triebfeder. Damit haben beide Kernelemente Lust auf den Erfolg. Und mehr Motivation geht nicht. Und höher können dann auch die Erfolgsaussichten nicht sein.

Wie soll so etwas organisiert werden?

Den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer, diese beiden ewigen Kontrahenten, die jetzt lediglich noch die Erhaltung der von ihnen selbst geschaffenen Metaorganisationen, der Verbände und der Gewerkschaften, als Daseinssinn haben, diese beiden möchte ich ersetzt wissen. Sie sollen sich wandeln zu den beiden Kernmassen meines Kreisels.
Die Unternehmen können sich dabei zu branchenspezifischen Teilmassen zusammenfinden. Können sie, müssen sie aber nicht. Wenn die sich nur mit Geldzählen befassen wollen, dann ist es mir auch recht. Die sollen investieren, gute Löhne zahlen, ordentlich Mehrwertsteuer erarbeiten helfen und dann soviel wie es eben ist mit nach Hause nehmen.
Die Arbeiter allerdings sollen sich zu anderen Teilmassen, zu Genossenschaften, zu branchenspezifischen Genossen­schaften zusammenschließen.
Genossenschaft heißt, daß die Arbeiter Teilhaber ihrer jeweiligen, durchaus wechselnden Genossenschaft sind. Niemand soll gezwungen sein, sein ganzes Leben lang ein und dieselbe Arbeit auszuführen. Sie vermarkten sich – genauer: ihre Leistung – auftragsweise an die Unternehmen. Sie lassen sich nicht mehr anstellen. Sie sind Geschäftspartner oder Vertragspartner.
Innerhalb ihrer Genossenschaft übernehmen die Arbeiter selbst ihre Sozialversicherung und auch ihre Ausbildung. Sie bieten sich selbst intern Aufstiegschancen. Da sie das alles selbst machen, gehen diese Aspekte natürlich in die „Preisfindung“ für ihre Leistungen ein. Gute Leistung gegen gute Bezahlung. Zug um Zug. Nachträgliche Alimentierung ist leistungsschädigend.
Und die stabilisierende Staatshaut meines Kreiselzentrums? Erdrückt die den Kern nicht? Tut sie nicht. Sie hat den Zweck, den beiden Kernmassen Leitlinien zu geben. Nämlich für den Fall, daß es sinnvolle oder notwendige Veränderungen gibt, die die beiden Kernmassen in ihrer Wertschöpfungswut sonst gar nicht wahrnehmen würden. Außerdem ist auch die Trägheit eine Eigenschaft von Massen.
So könnte es zum Beispiel sinnvoll sein, die Gegenstände der Wertschöpfung, sagen wir einmal bei der Energiegewin­nung oder beim Automobilantrieb, so anzupassen, daß unser Planet, auf dem ja auch mein Kreisel steht, erhalten bleibt. In der Arbeits- und Ertragswut übersieht man solche Aspekte gern einmal.
Daher ist meine Staatshaut nicht nur schön flexibel, sie ist auch für das Lernen verantwortlich. In ihr muß vorweggedacht werden. Sie muß auch Risiken zuerst und vielleicht auch zuerst allein angehen. Sie muß selbst „unternehmen“. In meiner Staatshaut sitzen in den Hautzellen die wirklichen Vordenker, nicht nur Dummies, die Experten denken lassen, ohne diesen allerdings sagen zu können, in welche Richtung die denken sollen.
Und vor allem sitzen da diejeniegen, die mit der Kreiselführung, mit der Drehzahlsteuerung beauftragt sind. Kurzum: da sitzen die Besten. Verwaltende Zeitgenossen sind da nicht am richtigen Platz. Solche, die meinen, andere machen das schon von allein, sind da auch eine Fehlbesetzung. Da gehören Leistungsträger und vor allem Führungswillige hin.
Bürgerliches Zentrum? Bürgerliche Mitte? Bürger? Wer oder was soll das sein? Bür… Das Wort habe ich gerade vergessen.

Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im Januar 2013

2013 – Das Jahr in dem wir erwachten

Aus den Erinnerungen eines Waldschrats (Brief an Rudi zum Jahresende 2112)

Mein Lieber Rudi,
jetzt habe ich, in meinem 155.Lebensjahr endlich die Ruhe gefunden, Dir zu schreiben. Die immer besinnliche Zeit zum Jahreswechsel will ich nutzen, um Dir Mut zu machen. Du sollst sehen, wie leicht es ist, auch die schwersten Prüfungen anzugehen und zu bestehen.
Ihr habt es jetzt mit Völkerwanderungen zu tun. Ganze Völker sind unterwegs oder werden demnächst aufbrechen, weil die geänderten klimatischen Verhältnisse sie dazu zwingen. Doch fürchte Dich nicht. Du mußt nur genau hinsehen und hinhören; sei achtsam. Du mußt nur mitfühlen, um die Lage richtig einzuschätzen.
Veränderungen, Rudi, finden einfach nur statt. Sie haben keinen Vorlauf, keinen Übergang. Wenn es soweit ist, mußt Du nur losgehen. So wie wir es vor einhundert Jahren getan haben. Davon will ich Dir schreiben.

Die Erkenntnis – 2012: Der Bürgerthaler war endgültig in der Sackgasse gelandet

Was liefen dort Anfang des letzten Jahrhunderts für Gestalten auf der Erdoberfläche herum. Wir, die Waldschrate und vor allem unsere Verwandten, die Erdmännchen, die hörten über ihren Köpfen ein immer aufgeregter werdendes Getrampel. Besonders störend für ihre Nachtruhe war, daß die da oben immer mehr auf derselben Stelle traten und stampften. Dabei sangen sie vollkommen unverständliche Lieder, die immer mehr in ein Blöken übergingen. So wie beim Hornvieh, wenn der Bauer nicht zum Melken kommt: Muh-HU-Huhhhh … Einfach schrecklich! Von dreien dieser Tanzgruppen will ich Dir genauer berichten.

Die Gutbürgerlichen

Diese Gruppe war sozusagen der Kern der Herde, die sogenannte Mitte der Gesellschaft. Sie waren die Kinder, Enkel und Urenkel der Generation, die den Weltkrieg losgetreten hatte. Sie waren allerdings der Ansicht, sie hätten gewonnen. Nun, wir wissen genau, sie waren wie ihre Väter und (Ur)Großväter eigentlich nichts weiter, als die größten Nieten und Versa­ger aller Zeiten.
Das ganz besondere Merkmal dieser Gruppe, ihr Markenkern (solche Floskeln mit der geistigen Tiefe eines möglichst kurzen Lexikoneintrages waren damals sehr en vogue) war, daß sie stets irgendjemanden brauchten, der „ihnen das macht“. Sie konnten nichts, aber auch rein gar nichts selbst. Ihre Vorfahren mußten selbst zur berühmten Stunde Null 1945 getragen werden.
Sie waren politisch eigentlich nicht mehr lebensfähig. Sie brauchten Gefangene, Fremdarbeiter oder Leiharbeiter (und natürlich alle ehemaligen DDR-Bürger), die ihnen erstens die Arbeit machten; sie selbst konnten kaum noch Messer und Gabel beim Essen halten. Zweitens brauchten sie unbedingt jemanden, auf den sie herabsehen konnten. Das war gewissermaßen das Fundament ihrer Gesellschaft: Das auf andere herabsehen und sich selbst zu ständigen Weltmei­stern, zur Elite und zu höchst kreativen Erfindern erklären (Was nicht alles in unserem Lande im 20. Jahrhundert  erfunden worden und dann von bösen Onkeln und Tanten andernorts zu Geld gemacht worden war: Fax, Walkman und Computer zum Beispiel).
Sehr, sehr wichtig, ja überlebenswichtig für diese Leutchen war, daß sie als politische Führer stets nur solche Herdenteile erwählten, die unbedingt weniger können mußten als sie selber. Ein einzigartiges Phänomen, ein Unikat im Universum. So war es damals sehr leicht, Reichs- und Bundeskanzler zu werden. Man mußte immer nur behaupten, man sei „genau wie ihr, liebe Mitte, liebes Volk“. Man könne und wolle nichts anderes, vor allem nichts besseres. Das war ganz, ganz wichtig.
Ulkigerweise führte diese Haltung aber keineswegs zu einer „Herrschaft des Volkes“ oder auch nur zu einer „Gestaltung durch das Volk“. Genau das Gegenteil war der Fall: Die Gutbürgerlichen waren der Inbegriff des Untertanen. Sie wollten genau das sein, egal ob unter König, Kaiser, Führer oder Kanzler. Hauptsache, diese gaben Ihnen irgendjemanden, auf den sie ein wenig treten konnten. Dann war „Ruhe die erste Bürgersehnsucht“.
Nebenbei bemerkt: Sehr lustig war zu der Zeit das politische Kabarett. Jedes Jahr wurden dort Jahresrückblicke gemacht. Und dann wurde aber richtig Dampf abgelassen. An einen wuscheligen Typen, der dazu immer Weizenbier trank, kann ich mich noch erinnern. Der parodierte immer die Kanzler so schön. Und wenn der über eine der damaligen Kanzlerinnen etwas zu deren Gesichtszügen (Oder waren es doch die Kniescheiben?) zum besten gab, dann kicherte das Publikum doch tatsächlich hinter vorgehaltener Hand. Das waren schon toughe (Entschuldigung: taffe) Typen damals.
Ebenso wichtig war für diese Leute: „Wer oben ist, will oben bleiben“. Und da wurde es dann richtig putzig. Die wußten gar nicht, wie „Oben“ denn definiert werden sollte. Und vor allem hatten sie keine blasse Ahnung, wie man denn dahin käme. Sie hatten alles ja immer nur geerbt oder von anderen vorgesetzt bekommen. In dieser Hinsicht taten sich besonders Leute hervor, die sich als „Grüne“ bezeichneten. Ich kann Dir, lieber Rudi, nun nach so vielen Jahrzehnten wirklich nicht mehr sagen, was das mit der Farbe auf sich hatte. War wohl auch nur so eine Art „testimonial“, wie man im Marketing sagte. Erinnern kann ich mich nur sehr genau an einen von denen, der mir schon 1986 erklärte:“Ja, mein lieber Schrat, du bist halt ein paar Jahre zu spät geboren. Sonst wärest Du, wie wir alle, beim Staat untergekommen.“ Das war das Pendant zu Aussagen: “Da wo Du da herkommst und da wo Du da wohnst“, wie ich sie mir oft von reichen Erben, staatspensionsgepolsterten Beamten und Förstern daheim im Wald habe anhören müssen.
Sehr interessant war in diesem Zusammenhang auch die sogenannte Staatsschuldenkrise, die die Gutbürgerlichen damals ans Laufen brachte. Was konnten die rennen! Ein Durcheinander wie auf dem Hühnerhof. Oder wie im Vogelschwarm, allerdings ohne die dazugehörige Schwarmintelligenz.
Dabei war die Ursache doch ganz einfach auszumachen: Das waren die Gutbürgerlichen selbst. Ihre Bauern trieb seit Jahrzehten immer nur eine Frage um: „Auf welche Subventionen muß ich im kommenden Jahr setzen?“ Ihre wie vom Himmel gefallenen öffentliche Stellen und Positionen, auf die sie als „Staatsbürger“ so pochten, verschlangen schon reichlich 30-40% der Haushalte, mancherorts sogar knapp die Hälfte. Diese Idioten waren dabei, sich selbst aufzufressen. Und sie merkten es nicht einmal, diese Fahnenträger des Subsidiaritätsprinzips. Und so trotteten sie willig hinter all denen her, die ihnen zumindest für die nächste Zeit Geld „besorgen“ konnten, an den „Märkten“ wie es damals hieß. Und auch auf die Idee, auf das Kriegführen zu verzichten, kamen die nicht. Wer kein Geld zum Backen (… oder zum K…?) hat, der sollte keinen Krieg führen. Das war schon so, als der Krieg erfunden wurde.
In sehr wenigen Momenten kamen Leute zu Wort, die die Gutbürgerlichen als verkommen und verwahrlost, als kompro­mittiert durch ihre „Verstrickungen“ im zwölf(tausend)jährigen Reich bezeichneten (Verstrickungen! Sie waren die Nazis!). Das waren aber nur sehr wenige und sie wurden nicht gehört.
Ja, die Gutbürgerlichen waren für die kommende Zeit nicht mehr die richtigen; sie waren zu dumm, zu faul und zu dreckig. Stimmt schon. Aber das reichte nicht aus, um die wahre Zäsur am Anfang des letzten Jahrhunderts hinreichend genau zu beschreiben. Doch eines nach dem anderen.

Das Schlaraffenland der Marktliberalen

Nach all diesen doch eher düsteren Bildern soll es nun, wenn schon nicht wirklich erfreulich, so doch wenigstens lustiger werden. Es gab nämlich noch die Gattung der Marktliberalen. Die versprachen das Schlaraffenland. Und sie selbst glaubten auch wirklich daran.
Sie wollten die Gesellschaft von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft umformen. Die wollten mit Geld Geld verdienen und „arbeiten nicht mehr“, wie es ein Werbespot formulierte. Nun, auf den ersten Blick hörte sich das nicht anders an, als wenn kaiserliche Möchtegernkolonialherren vom „Platz an der Sonne“ träumten oder  die Gutbürgerlichen im zwölf(tausend)jährigen Reich sich aus dem eroberten Lebensraum ernähren wollten. Es schien so, als sei das alles nur der schon bekannte Traum der Schmarotzer und Nassauer.
Diese Gattung war wirklich davon überzeugt, Geld könne Geld schöpfen (so wie eine Wertschöpfung im industriellen Sektor ein recht hilfreiches Modell ist). Genau das ging und geht aber nicht. Die schaufelten Geld nur von links nach rechts und umgekehrt. Niemals wurde auf den diversen Pfaden des Kapitalflusses irgendein Mehrwert geschaffen. Es war einfach nur ein Umverteilen, ein Umbuchen, ein Scheingeschäft. Da war es dann auch kein Wunder, daß die damals keine Steuern darauf zahlen wollten. Wo hätten die als Ausdruck des Mehrwertes auch herkommen sollen?
Ganz toll war, daß die riesigen Vermögen, die dabei in Windeseile entstanden nichts weiter waren als die Schulden anderer. Die Provisionen, die bei diesen Geschäften abfielen waren allerdings auch kein Mehrwert. Sie wurden ja nur vom Kuchen abgeschnitten. Und das wirklich Tollste war, die Brüder und Schwestern im Geiste dort mußten Kredite erfinden, ja zwangsweise herbeiführen, sonst hätten sie ja nichts gehabt, das sie in „Handelsware“ (Verbriefungen) hätten umwan­deln können. Was mit den Krediten gemacht wurde, das spielte keine Rolle. Ganz wichtig war, daß die Staaten als Kredit­nehmer mit höchster Bonität das Ganze in gang hielten. Und die Staatsdrömel haben auch kräftig die Kohle angenom­men. Sonst hätten sie womöglich noch ernsthafte Wirtschafts- und Finanzpolitik betreiben müssen. Aber dazu fehlte es ihnen an den nötigen Ressourcen – dem Schmalz zwischen den Ohren, nicht in den Ohren.
Es war tatsächlich aber noch schlimmer. So „beruhigten“ die Reichen die Armen immer damit, daß das „Geld ja nicht weg sei, es sei gerade nur woanders“. Das machten sie immer dann, wenn sie wieder einmal durch eine „Supergelegenheit“ den Zossen in die Grütze geritten hatten. In Wirklichkeit war aber Geld erstens vernichtet worden, nämlich dadurch, daß Spekulationsobjekte, zum Beipiel Immobilien, an Wert verloren. Diese Werte waren einfach nur weg.
Zweitens führte insbesondere die Anhäufung des Geldes in immer weniger Händen (So, nun ist auch das klar: Die Schwarzen Löcher sind kein Modell der Astronomie, sie gehören zur Wirtschaftslehre!) dazu, daß Geld dem Kreislauf aus Werten und Geld entzogen wurde. Soviel konnten und wollten die City-Clowns (auch City-Boys genannt) gar nicht „reinverstieren“, wie sie angesammelt hatten. Es blieb hinter dem Ereignishorizont ihrer Schädeldecke auf immer im Schwarzen Loch zwischen ihren Ohren verschwunden.
Zu allem Überfluß wurden diese Figuren auch noch künstlich am Leben gehalten. Da der Dienstleistungssektor so umundbei 30% der Wirtschaftsleistung ausmachte und man ja schließlich liefern mußte (Wachstum!!!!!), mußte also täglich tüchtig „gedreht“ werden. Am Geldhahn natürlich. Die Umschichtungen mußten weitergehen, sonst stand ja nichts im Leistungsnachweis. Egal ob sinnvoll oder nicht. Vor allem mußten die Staaten Anleihen ausgeben, natürlich zur Umschuldung, um den Kapitaldienst zu senken (Da gab es sogar Anleihen zu 0% Zinsen, sogar Anleihen mit Handgeld!). Selten so gelacht! Das Ganze hatte nur einen Sinn: Das Rad weiter zu drehen, am besten immer schneller. So kam wenigstens keiner auf die Idee nachzudenken.
Wie abgrundtief, wie unendlich bescheuert diese Gattung war, soll Dir auch eine Anekdote aus meiner eigenen Vergangenheit verdeutlichen. Rudi, Du weißt, daß ich nach dem Krebstod meines Vaters vor einem zu hohen Berg gestanden habe. Im letzten Gespräch mit meiner Bank bekam ich dann noch dies zu hören: „Wenn Ihr Vater dann tot ist, Herr Schrat, dann bekommen wir ja seine Rente“. In dem Augenblick wußte ich, daß ich einem Irren gegenübersaß. Einem, der doof wie drei, nein wie hundert Meter Feldweg war. Und der war nicht allein.
Staatsschulden von zwei Billionen waren doch gar nicht schlimm, wenn vier Billionen Volksvermögen als Sicherheit zur Verfügung standen. So dachten die damals. Und so kamen die auch auf eine rettende Idee: Die Reichen sollten doch endlich einmal etwas „an die Gesellschaft zurückgeben“. Damit könnte man doch einen guten Teil der Schulden tilgen und so auf einem erträglicheren Niveau weitermachen. Du liest schon richtig, Rudi: Die wollten weitermachen! Haben sie aber nicht dürfen, diese lebenden Beweise für die Existenz der Ferengi.

Organisierer des demographischen Wandels

So, und nun noch etwas ganz, ganz Lustiges: Die Gattung der „Organisierer des demographischen Wandels“. Die waren einfach nur „Härte Zehn“. Die hatten festgestellt, daß unsere Gesellschaft schrumpft. Wir waren zwar damals Papst, aber wir nahmen ab. Und das immer schneller.
Nun, eine schrumpfende Population geht einfach nur unter, zumindest geht sie soweit zurück, bis sie in irgendeiner anderen aufgeht, also im wahrsten Sinne des Wortes in einem anderen Schoß verschwindet, was ja auch ganz angenehm sein kann.  Will man das nicht, so müssen die Lebensverhältnisse verbessert werden, herbeischrumpfen und herbei­sparen kann man das nicht. Nur wer eine gute Gegenwart und Zukunft für sich selbst sieht, der sieht auch eine Zukunft für seine Kinder – und setzt diese dann in die Welt. Nur dann machen sich Menschen auf den Weg.
„Incentives“ in dem Sinne, wie die Gutbürgerlichen und die anderen sie verstanden, konnten nicht funktionieren. Die wollten Menschen in Not halten und versklaven. Aber Sklavenhaltergesellschaften waren noch nie lebensfähig.
Die „Organisierer des …“ waren nun eher die Sozialverbände und ähnliche. Die wollten ja „nur in Würde altern“. Also sie reklamierten das für sich. Sie wollten auch nur ein wenig zurückverteilen. Und ansonsten so weitermachen wie bisher. Die waren einfach nur noch rührend, hilflos und anrührend. Die berechneten irgendeine Zukunft für die nächsten fünfzig bis sechzig Jahre voraus und warnten. Ja genau, das haben sie am meisten gemacht: gewarnt. Nur getan haben sie nichts. Sie hatten auch keine Ahnung was.
Nur leider waren sie gefährlich. Denn sie hätten selektieren müssen, wer in „Würde altert“ zum Beispiel und wer nicht. Das hätten die auch ohne zu zögern gemacht. Haben sie aber nicht gedurft.

Und die vielen anderen …

Daneben gab es noch viele, viele andere. Die völkischen Autarkisten zum Beispiel. Die wollten zurück in den deutschen Eichenwald (den wollten sie dann auch noch zu Pellets verarbeiten und damit heizen), regionalen Handel wollten die treiben. Bloß nichts Gobales mehr. Die wollten regionale Währungen; und tauschen wollten die. Die hatten nicht nur einfach Angst vor Gottes Schöpfung. Die hatten auch nicht nur nichts aus der Geschichte gelernt. Die hatten gar nichts gelernt.
Oder die Privatisierer oder „Privat vor Staat“ und „das regelt der Wettberwerb“. Also, ganz im Ernst, Rudi: Wenn einem keine neuen Produkte und Konzepte mehr einfallen, so ist die Lösung nicht, Energie und Wasser zwangsweise, gewis­sermaßen in einer andersfarbigen Kollektivierung, zu privatisieren und zu Mondpreisen zu verkaufen. Das ist weder Kapitalismus, noch Sozialismus. Das ist die Rückkehr zu einem Ideal des Feudalismus, das es so selbst im mittel­alterlichsten Mittelalter nicht gegeben hat. Fortschritt wird dadurch nicht befördert. Er wird behindert, ja vorsätzlich verhindert. Wettbewerb ist der Vorgang, dessen Ziel seine eigene Abschaffung, dessen Ziel das Monopol ist. Das ist kein Grundsatz, das ist keine Leitidee, das ist die reinste Form des Schwachmatismus.
Sehr ulkig anzusehen waren auch die Stellschraubendreher: Die drehten immer und überall an etwas herum, das sie weder erschaffen noch verstanden hatten. Und mehr gab es dazu auch nicht zu sagen.
Und dann gab es zu Anfang des letzten Jahrhunderts noch eine ganz besondere Revuetruppe aus süßwasser­matro­senden Zeitreisenden, Nacktläufern, Eierstemplern und was weiß sonst noch alles. Die machten mit einem Böötchen auf sich aufmerksam. Da war aber wirklich der ganze Rest vertreten. Rudi, so etwas mußt Du einfach nur hinnehmen. Laß solche Figuren links liegen und gehe deinen Weg allein.

Eine schrecklich schöne Erkenntnis bricht sich Bahn …

Soweit wäre ja alles erschöpfend beschrieben. Aber irgendwie … Irgendetwas fehlt noch. Das, was damals zu beobachten war, war noch viel, viel tiefgreifender. Wir hatten es mit einer Situation zu tun, wie es sie circa 40.000 Jahre zuvor zum letzten Mal gegeben hatte. Ja: Am Anfang des letzten Jahrhunderts hatten sich zwei Arten von Menschen voneinander endgültig getrennt: Der Homo sapiens sapiens, hervorgegangen aus dem homo sapiens und dem homo waldschratiensis, und der homo bürgerthaliensis, der Bürgerthaler.
Wir sind uns auch heute noch keineswegs im klaren, ob dies ein evolutionärer, ein biologischer Vorgang war. Oder doch eher, wir neigen zu dieser These, ein soziologisches Phänomen: Eine Chance zur Weiterentwicklung für den homo sapiens sapiens, die erst daraus erwuchs, daß der Bürgerthaler mehr oder minder mit Vorsatz in die Sackgasse gelaufen war. Und darin auch bleiben wollte. So wie der Neanderthaler sich wahrscheinlich immer weiter dahin zurückzog, wo er meinte, sich auszukennen. Bis dieser Raum so klein geworden war, daß es für den Fortbestand seiner Art einfach nicht mehr reichte. So eine Art Grenze für das „kleinste funktionierende Sozialgefüge“. So oder so ähnlich wohl.
Du kannst Dir das vielleicht wie einen Zug vorstellen, Rudi. Einen Zug, mit dem der Bürgerthaler unterwegs war. Irgend­wann war dieser Zug nicht mehr der technisch beste. Irgendwann war vielleicht nur ein Wagen, zunächst nur eine Achse, aus den Gleisen gesprungen. Der Zug fuhr aber weiter. Es rumpelte zwar und die Kurvenfahrten wurden immer unruhiger. Das Gleisbett wurde auch beschädigt. Die Steigungen wurden immer langsamer geschafft. Manchmal hatte man sogar den Eindruck, nicht mehr über den Berg zu kommen.
Aber der Bürgerthaler hielt nicht an, um nach dem rechten zu sehen. Er wollte gar nicht wissen, was da rumpelte. Es hätte ja sein können, daß man das ganze Antriebskonzept hätte überarbeiten müssen. So genau wollte das der Bürgerthaler nie wissen.
Irgendwann kam der Zug dann an eine ganz einfache, langgezogene Kurve mit ganz leichter Steigung. Aber die hat er einfach nicht mehr geschafft. Er blieb stehen. Die Bürgerthaler stiegen aus und bauten tolle neue Maschinen, mit denen sie das Land hinter der kleine Kuppe, vor der ihr Zug stehengeblieben war, erkundeten. So wie sie den Mars erkundeten. Sie machten große Pläne für die Zeit nach der Kuppe, die genau besehen so klein war, daß man fast im Sitzen über sie hinwegsehen konnte. Ihren Zug haben sie aber nie wieder in Gang gebracht.
Sie wollten einfach nicht von ihrem schönen Zug, der sie soweit getragen hatte, lassen. Sie wollten dableiben, obwohl sie ahnten, daß sie das schöne neue Land hinter der kleinen, sanften Kuppe nie erreichen würden.
Wir haben sie dagelassen.

2013: Alles neu macht der Mai – Quo vadis?

Männer sind primitiv. Frauen auch. Oder etwas rhythmischer formuliert: Men are simple. Buisiness is simple. Politics are simple. Auf Deutsch: Wir hatten nicht die Aufgabe, eine neue Moral, eine neue Weltanschauung zu entwerfen. Unsere Aufgabe war es, die Spieler auf dem Feld neu aufzustellen, die „Zusammenrottung im Anstoßkreis“ zu entwirren. Und wir mußten Ziele aufzeigen, die es lohnte zu erreichen. Man bezeichnet so etwas auch mit diesem einen Wort: Führung. Das ist die einzige Aufgabe, die es in der Politik gibt. Und sie ist die schwerste.
Das alles mußte auch noch in der so schön vernetzten Welt, insbesondere der europäischen passieren. Vor allem letztere war damals ja berüchtigt, nichts, aber auch gar nichts nicht selbst regeln zu wollen. Ja, und? Hätten sie ja auch können. Haben sie aber nicht.
Und wir hatten ein sogenanntes föderales (und ein Verbände-) System geerbt. Ein System, daß aber auch von den Alliierten nach 1945 ganz bewußt, sagen wir einmal „vertieft“, worden war. Damit wollten die sicherstellen, daß wir uns schön mit uns selbst beschäftigen und nicht auf dumme Gedanken kämen. Mit ersterem hatten sie Erfolg. Mit den dummen Gedanken nicht.
Die Chance, schon zwanzig Jahre zuvor unser Vaterland neu zu gestalten, die hatten wir versäumt. Die anderen Europäer hätten uns vielleicht, mit ein wenig Aufsicht, damals sogar gewähren lassen. Stattdessen haben wir uns mit der Ausplün­derung der DDR beschäftigt. Auch so eine Beschäftigung mit sich selbst.
Und wenn damals vor hundert Jahren halt alle die Wirtschaft umtrieb, daß man es nicht mehr hören mochte, nun, dann fingen wir eben damit an.

Was also tun?

Ziel allen Wirtschaftens wurde das Schaffen von Werten. Umverteilen und Umbuchen war nicht mehr en vogue. Ganz und gar nicht mehr. Dazu haben wir die  Mehrwertsteuer benutzt, die einst vielleicht wirklich nur dazu erdacht worden war, um an jeder Ecke jede und jeden abschöpfen zu können. Doch in ihr steckte viel mehr. So war durch sie auf einen Schlag jedes Segment des Wirtschaftens gleichwertig geworden, es gab nämlich nur noch einen einheitlichen Steuersatz. Zusammen mit dem Instrument der Produkthaftung wurde alles mit allem vergleichbar. Insbesondere wurde auf diese Weise der gesamte sogenannte (Finanz-) Dienstleistungssektor aus seiner Schmuddelecke hervorgeholt. Ja! Wir haben diese Knallchargen erst richtig salonfähig gemacht. Aber nur zu unserem besten.
Denn machen wir uns nichts vor, lieber Rudi: Prohibition hat nie funktioniert. Und deshalb wurde auch weiter gezockt, an den Märkten. Es war aber nicht mehr so schlimm, weil manchmal zu gefährlich (Haftung! Und wir haben die Schlingel schon bei den Hammelbeinen und auch gern dazwischen gepackt, sehr kräftig gepackt!) – und manchmal einfach nicht mehr ganz so lohnend. Ach ja: Da wo es ganz arg hätte werden können, haben wir den Zockern einfach gegeben, was sie in jeder Spielbank kriegten: Spielgeld. Damit konnten sie dann nicht mehr direkt Unsinn machen.
Viel wichtiger aber war es, ein neues Ziel, ja einen ganzen Zielhorizont aufzuzeigen. Wo sollte vor allem etwas passieren? Mit Handy-Kingeltönen wären wir da nicht weit gekommen, obwohl Produkte, die Freude bereiten, grundsätzlich gute Produkte sind. Und wir mußten dort anfangen, wo wir uns wenigstens leidlich auskannten.
Und hatte ich nicht schon erwähnt, daß „der Markt“ alleine gar nichts bewegt? Oder nur in ganz wenigen Fällen einmal. Und irgendwo Geld „injizieren“, um eine Initialzündung zu geben? Das ist oft genug versucht worden und war immer nur ein Strohfeuer. Das Risiko des eigenen Fehlens voll und ganz einzugehen, auch das macht Führung aus. „Den Markt“, Rudi, mußt Du dir eher als eine Säule, als eine sehr schlanke Säule vorstellen. Mehr als einen Pfosten, einen Vollpfosten.
Wir haben uns daher auf Autos, Energie und Kreislaufwirtschaft konzentriert. Autos? Aber die gab es doch schon! Sicher, Rudi. Sicher gab es schon die großen KDF-Werke in Fallersleben. Und auch im Süden war da was. Aber wir haben das Auto neu erfunden, wir haben das getan, was der Kapitalismus niemals getan hat (auch nicht bei der Einführung der Dampfmaschine und der Eisenbahn). Wir sind ins Risiko gegangen. Das heißt, wir sind vorausgegangen.
Das neue Auto. Das war das Elektro- und das elektrohydaulische Auto. Mit Brennstoffzelle als Kraftquelle. Den Wasser­stoff dazu haben wir im übrigen im Sonnenofen gewonnen. Das waren schicke Droschken! Vom Bambino bis zum Pink Cadillac. Vom Goliath bis zum Gigaliner. Die Dinger fuhren jedem Verbrennungsboliden davon, konnten mit verstellbaren Rädern auf der Stelle drehen und waren kinderleicht zu bedienen. Und das schönste an der Sache: Genauso haben wir die Seeschiffe angetrieben.
Und die Lithiumbatterie? Die sollte doch für die alteingesessenen Großunternehmen der „Burner“ werden. Ja, ja, die wurde auch zur Zwischenspeicherung eingesetzt, eher kleinteilig. Auch saturierte Großunternehmen kann man ersetzen, wenn sie denn den Hintern nicht hochkriegen. Und wir haben viele nette ausländische Unternehmer in den ersten Jahren kennengelernt.
Und damit war auch das nächste „Dicke Brett“ schon halb gebohrt: Die Energieversorgung. Denn der Knackpunkt war die Energiespeicherung, nicht die Erzeugung. Auch da gab es durchaus Möglichkeiten. Keiner der Etablierten wollte aber da richtig ran. Die wollten lieber alles so lassen wie es war; beziehungsweise wollten sie nur „großtechnisch“ speichern. Denn dann hätte man weiter nur bei ihnen beziehen können.
Nun, wir fanden, was sollen wir mit „Stromautobahnen“, die dem Nils Holgersson mit seinen Gänsen nur im Wege stehen, und die ansonsten nichts weiter als Kosten verursachen. Bezeichnenderweise wollten all die tollen Privatisierer auch nie „die Netze“ wirklich haben; also nutzen wollten sie die schon, aber nicht auf eigene Kosten ausbauen oder instand­halten.Da fanden wir es besser, schöne kleinteilige Kraftwerke mit Speicherung zu bauen. Wir haben in einem rasanten Tempo das ganze Land damit überzogen.
Und der, der bei der Speicherung die ersten kleinen, transportablen Module am Start hatte, der hatte sich seinen Vorsprung auch redlich verdient (Der wird heute immer noch mit Ehrfurcht  „The Bigboss“ genannt). Der konnte seine Energie dann auch noch weiterverkaufen. Toll, nicht wahr? Das war nämlich einer (Ja, es war ein Bube, keine Bübin!), der wohl so ähnlich dachte wie einst ein Rockefeller oder Ford gedacht hatte. Nun, bis kurz vor das alles beherrschende Monopol haben wir ihn dann auch gewähren lassen. Dann haben wir ihn eingekauft und zum Denkmal erklärt. War teuer genug, aber irgendwann muß es auch gut sein.
Bevor ich es vergesse: „The Bigboss“ hat sein Handwerk wirklich verstanden. Der hat seine ersten Produkte massenhaft und billig auf den Markt gebracht. So geht Markteinführung, wenn man wirklich etwas bewegen will. Die „neue Energie“ wurde bezahlbar gemacht – und die alte damit endgültig ins Abseits gestellt.
Und aus der Rohstoffrückgewinnung haben wir ein echtes Kreislaufgeschäft gemacht. Ein Geschäft! Das heißt, Abfall wurde nicht entsorgt und sortiert, gegen Gebühren, er wurde verkauft. Und zwar vom sogenannten Verbraucher selbst. Denn der war ja genaugenommen nur ein zwischenzeitlicher Verwender. Er hatte den Kauf bezahlt. Und konnte den Rest weiterverkaufen. Allerdings mußte er dafür Qualität (Sortenreinheit und ähnliches) liefern. Wer etwas für seine „Reste“ haben wollte, der mußte sich eben anstrengen …
Nein, so natürlich nicht! Jeder mit seinem eigenen kleinen Schrottplatz! Aber der Hersteller mußte (und wenn er rechnen konnte, dann wollte er das auch freiwillig, um im Einkauf zu sparen) „seine“ Rohstoffe wieder zurücknehmen und dies dem Kunden auch vergüten. Oder vielleicht seine Produkte nur vermieten, wenn sein Kunde halt nicht Eigentümer werden wollte. Haben die alles untereinander selbst ausgehandelt. Manchmal ging es in den ersten Jahren zu wie im Basar. War auch ganz schön und hat Spaß gemacht.
Und noch einmal. Zum mitschreiben. Wenn ein Gerät funktioniert, dann ist es Ware. Wenn es nicht mehr funktioniert, dann ist es Schrott. Und Schrott ist dasselbe wie Rohstoff. Und Rohstoff ist Ware. Und kein Müll. Also gibt es auch keinen Müll zu vermeiden. Und wenn man ein Gerät ersetzen will, weil man ein schöneres haben möchte, dann ist das gut so. Das alte Gerät kann man auch direkt in den Schrott geben (oder als gebraucht verkaufen, aber dann ist der Rohstoff weg). Denn der Schrott  ist genauso Ware wie das neue oder das gebrauchte Gerät. Das ist keine Sünde. Das ist das Prinzip des rauchenden Schornsteins. Und damit Basta. Das sündenbehaftete Mittelalter ist halt doch schon etwas länger alt.
Jetzt kannst du auch erkennen, Rudi, was noch als Hintergedanke in dieser Zusammenstellung „Auto – Energie – Kreis­laufwirtschaft“  steckte. Wir hatten Öl aus dem Transport- (außer Flugzeuge, da dauerte es noch etwas) und dem Energie­sektor herausgenommen und damit beim Werkstoffproblem Zeit gewonnen. Diese Zeit konnten wir in der Forschung gut nutzen, denn Öl gab es nicht mehr so viel. Ach ja, es wurde im übrigen auch deswegen Zeit, auf diesen Weg einzu­schwenken, weil die Schlauen unter den Ölförderern schon längst für die Zeit danach gedacht hatten. Aus der Energie­erzeugung konnte man recht schnell das Öl abziehen. Auf Öl als Werkstoff zu verzichten war da schon schwieriger.
Das hört sich alles zu leicht an? So kann das nicht gewesen sein? Rudi, denke einmal an die Schreibmaschine und den Dieselmotor. Die Schreibmaschine war tot als der Schreibcomputer erfunden war (also vor seiner Markteinführung schon). Jeder, der versucht hat, die Schreibmaschine zu erhalten (zu „faceliften“ wie man so sagte, oder sie mit Zusatznutzen und „Gadgets“ „upgraden“ wollte), der war schon hingefallen, bevor er den ersten Schritt getan hatte. Und der Dieselmotor hatte die Dampfmaschine als Schiffsantrieb schon abgelöst, als er die ersten Minuten am Stück durchgehalten hatte, im Schuppen vom Rudolf.
So ganz nebenbei bemerkt: Es waren noch nicht einmal Prämien und ähnliches nötig. Allein die Aussicht, wieder etwas schaffen zu können, auch ganz persönlich neue Ziele erreichen zu können, langte völlig aus, um unser Land in Drehung zu versetzen. Die Sache mit der intrinsischen Motivation ist doch eine feine Erfindung vom Lieben Gott, nicht wahr?
Aber dann gingen doch die ganzen Arbeitsplätze verloren …? Ja, es gingen all die Arbeitsplätze verloren, die nicht mehr gebraucht wurden. Unsere Autos mit Einzelradantrieb hatten zum Beispiel keine herkömmlichen Bremsen und Getriebe mehr. Na und? Sie bestanden halt aus anderen Komponenten.
Wir haben nicht einfach mutwillig alles umgekrempelt, um der „heiligen Reinheit“ willen. Ich habe Dir doch die Sache beim Thema Öl erklärt. Und genau das macht eben Führung aus: Neues vorwegnehmen können oder anders gesagt, eine Vision zu haben (Visionen sind endgültig seit der Großversuchsreihe des Jahres 2047 offiziell keine Krankheit mehr).

Und was war mit den Steuern und der Rente und …?

Wir haben das gesamte Steuersystem nur auf die Mehrwehrtsteuer gestützt, worauf es eigentlich ohnehin schon ruhte; das sollte nur keiner wissen. Die Einkommensteuer (auch die Körperschaftssteuer) wurde in der „Vorauszahlungvariante“ einfach abgeschafft. Dabei mußten wir schon ein bißchen länger nachdenken. Denn bis dahin war sie eine Sache der „ausgleichenden Gerechtigkeit“, die Einkommensteuer nämlich. Hat aber erstens nicht funktioniert und stand zweitens jetzt im Weg. Die Menschen brauchten mehr zur Verfügung. Und die Selbstdefinition „Ich bin aber Steuerzahler und ich will …, sonst halte ich die Luft an …“ konnte einfach keiner mehr hören.
Auf restlos alles, was gewerblich gekauft und verkauft wurde, wurde die gleiche Mehrwertsteuer erhoben. Im übrigen, wenn ich mich recht entsinne,  20 oder 22%; das war schon schön europäisch.  Auch auf Export- und Importgüter. Wer bis dahin im Export damit spekuliert hatte, ohne oder mit geringerem Steuersatz operieren zu können, der mußte halt sehen, wo er bessere Preise bekam – oder etwas abgeben. Auf jedes Einzelschicksal kann man nun wirklich nicht immer Rücksicht nehmen.
Eingesammelt wurde weiterhin über die Unternehmen, die aber für ihre Dienstleistung sogar vergütet wurden. Das kam bei neuen Unternehmen aus dem Ausland, die sich hier ansiedeln wollten, sogar ganz gut an. Und der viel geschmähte bürokratische Aufwand war minimal, denn die reine Auflistung des Verkausferlöses und der Einkäufe reichte ja aus. Rechnen mußten die Finanzbeamten selber. Dafür wurden sie schließlich bezahlt.
Ach ja, ganz wichtig: Unsere (janusgesichtigen) Steuerbeamten wurden nach ganz klarem Vorbild ausgesucht. Sie entsprachen dem altrömischen Vorbild „Incorruptus“ (Ganz große Literatur!). Sie gingen in die Betriebe und holten sich die Daten ab. Sie waren freundlich und halfen bei Fragen. Und vor allem waren sie klein und gemein. Sie waren erbarmungs­los beamtisch. Sie kannten nicht den geringsten Skrupel, einem kleinen Möchtegernbescheisser die Hammelbeine … Und als Vorgesetzte kriegten die nur die doppelt kleinen und gemeinen ihrer Zunft.
Wir haben auch die Vermögens(zuwachs)steuer (für jeder natürliche und juristische Person) neu definiert. Aber mehr als Belohnung konzipiert. Jeder mußte nach wie vor zum Jahresende seine Steuererklärung abgeben. Wir haben aber für die ersten 5% Vermögenszuwachs eine kleine Belohung gezahlt (Du kannst dir gar nicht vorstellen, Rudi, was da für Geschichten erfunden wurden; die waren als Groschenroman ein richtiger Renner). Danach kam dann eine sehr moderate, allerdings progressiv steigende Besteuerung des Vermögenszuwachses.
Und wer meinte, über Auslandstöchter oder ähnlich seinen Zuwachs kleinhalten zu wollen, der hatte es nicht so ganz verstanden. Der, der nichts weiter als die 5% Zuwachsprämie mitnehmen wollte, der war ein „Stagnierer“, ein Wachtums­verweigerer sozusagen. Der durfte das genau zweimal machen – zum ersten und zum letzten Mal.
Und jeder, wirklich jeder mußte für seinen Zuwachs auch die Aufwendungen korrekt angeben. Kein Arbeiter konnte also Wegekosten weglassen, nur um seine 5%-Prämie zu bekommen. Spaß beiseite. Seit den 1920er Jahren waren Leute damit beschäftigt gewesen, zu entscheiden, ob auch Privatpersonen, insbesondere Arbeiter, da keine Bürger (oder so ähnlich), steuerlich relevante Aufwendungen hätten oder nicht. Hatten sie.
Und wie sollte dann der Zuwachs aussehen? Wer zum Beispiel ein Achtel Wertverlust seines Autos durch zwei Achtel Spareinlage ersetzte, der hatte doch mehr getan, als nur den Wertverlust ausgeglichen. Oder? Das wurde halt belohnt. Arbeitnehmersparzulage einmal anders.
So gab es weiterhin etwas, um sich an seinem Staat reiben zu können. Das war und ist sehr wichtig. Auf die Steuerein­nahme an sich kam es gar nicht so an. Wichtig war, daß jeder Vermögen auch erwerben wollte. Ach ja. Damit das alles von Anfang an Spaß machte, haben wir die Erbschaftssteuer abgeschafft. Der Erbe hatte eben plötzlich mehr im Vermögen. Nur die Belohnung für die ersten 5% Zuwachs bekam er nicht. Das wäre für die vielen Erbonkel und -tanten zu gefährlich geworden.
Nur die, die in ihrer Erklärung keinen Vermögenszuwachs nachweisen konnten, die hatten ein Problem (so wie die „Stagnierer“ oben). Die wurden einbestellt und mußten sehr genau argumentieren. Stellte sich zum Beispiel heraus, daß ein Unternehmen Vermögen verzockt hatte, dann bekamen die noch ein Jahr Galgenfrist. War es danach immer noch nicht auf den Pfad des steigenden Vermögens zurückgekehrt, dann wurde „die Bude dichtgemacht“. Und der „Privat­schrat“ bekam eine kleine Strafe, damit er wieder ein braver Vermögensbauer wurde. Und weißt Du was, Rudi, mit den Banken haben wir das genauso gemacht: Kohle verzockt? Bude zu!
Und wovon hat dann einer die Kitas bezahlt? Und wer bezahlte die Rente und die Sozialversicherungen Und der schöne Staat, mußte der denn nicht jetzt kräftig sparen? Der Staat direkt am Wirtschaftsgeschen, denn mehr als Mehrwertsteuer kriegte er ja im wesentlichen nicht mehr! Du Schrat mit Ohren! Das geht doch gar nicht …!!!!!!!!!
Aus! Mein lieber Rudi, hier schreibt nur einer. Und das bin ich. Du kriegst jetzt keine M und Ms, hier wird nicht genascht. Du kriegst hier L und L: Lesen und Lernen.
Das ging alles. Ganz gut sogar. Zuerst einmal war dabei wichtig, daß der Staat gezwungen war, sich konform zur Wirtschaftsentwicklung zu verhalten. Er mußte, anstatt wahlenfreundliche „Initialzündungen“ auszugeben, auf strategische Entwicklungsfelder setzen. Das war in den ersten Jahrzehnten die gesamte Bandbreite der Werkstoffe. Das war wesentlich. Nicht mehr die IT-Branche. Und da „der Markt“ so etwas von allein ja nicht macht, hat das unser Unternehmer­staat halt getan. So wurden zum Beispiel die „Seltenen Erden“ weder „erobert“, noch wurde nach ihnen im Asteroiden­gürtel „prospektiert“ (Das hatten ernsthaft welche vor!) – sie wurden „recycelt“, ja das auch, und ersetzt. Insbesondere aber wurde am Herstellungsprozess, am eigentlichen Gewinnungsprozeß der an sich doch gar nicht so seltenen „Seltenen Erden“ konzentriert gearbeitet. Alle „Lenkungs­maßnahmen“ wurden für die Entscheidungsträger halt etwas schweißtreibender – hinter der Stirn.
Unser Unternehmerstaat war dann auch der erste, der verdienen durfte. Wollten sich danach (oder auch von Anfang an) andere beteiligen, so waren sie willkommen. Aber die meisten wollten immer erst das Anfangsrisiko abwarten. Also bekamen sie auch die Krümel, nicht den Kuchen. Im Ernst: Es war nicht ganz so schlimm Nach einer gewissen Zeit lief diese „Kooperationswirtschaft“ schon ganz gut. Allemal besser als irgendwelche Lizenzen zu vergeben, einmal Geld einzunehmen und anschließend den Dreck auf Staatskosten wegzuräumen. Es war halt nur ein wenig anstrengender. Aber „Ohne Schweiß kein Preis“, wie ein altes Sprichwort sagt.
Es wurde natürlich auch kräftig gespart, richtig Verzicht geübt, asketisch geradezu – genauer: Es wurden all die lieb­gewonnenen gutbürgerlichen Pfründe abgeschafft. All die vielen Verwaltungspositiönchen und Subventiönchen, die es den Gutbürgerlichen und ihrer Brut (Die hatten unter „Staatsbürger“ immer nur „Erbbürger“ verstanden!) so leicht gemacht hatten. Was glaubst Du eigentlich, was für ein enormer Pensionsbatzen nach den ersten dreißig Jahren aus dem Etat verschwunden war.
Ja, es hat seine Zeit gebraucht, die gutbürgerlichen „Altlasten“ (seit den 1980ern ein geflügeltes Wort) abzutragen. Da zahlte es sich aus, daß wir die Finanzmärkte hatten überleben lassen. Unser Staat hat gegen die gezockt, daß einem schwindelig wurde. Ja und! War das vielleicht verboten. Hatten die „Schlaraffenland-Träumer“ etwa als einzige diese Möglichkeit? Also ab mit den vielen Pensionslasten in irgendeine Bad Bank , auszahlen und warten, bis die „Anspruchsinhaber“ davongegangen waren. Bloß nicht mehr darüber nachdenken.
Bloß nicht mehr darüber nachdenken … Auch nicht über den Erhalt dahinsichender Unternehmen oder Branchen. Sie sogar mit Beifall erheischenden Maßnahmen über Wasser halten wie die landschaftspflegenden und wählenden Bauern. Perspektiven aktiv entwickeln und den Menschen neue Wege zu ebnen, aktiv zu ebnen – nicht nur bedeutungsvoll darauf zu weisen –, das war die Aufgabe des Staates. Hat er auch von Generationswechsel zu Generationswechsel (seiner treuen Bediensteten) immer besser geschafft.
Ja, schon gut, ich weiß, Rudi! Bei genauem Hinsehen war der Staat, das Land damals schlicht und ergreifend pleite. Genauso benahmen sich die gutbürgerlichen politischen Führer auch. Sie rechneten immer eine Gesamtwirtschafts­leistung zusammen, die den ganzen Finanzsektor mit einbezog. Dort wurden aber gar keine Werte geschaffen. Das war so wie es „Manager“ immer tun, um bei ihrer Hausbank gut dazustehen, um eine bella figura zu machen. Dazu erfanden sie stets „die Zukunft“ neu, immer wieder, so mit Licht am Ende des Tunnels, neue Chancen anpacken und es wird schon werden, wenn wir alle brav in die Schule gehen. Es ging aber immer nur darum, frisches Geld locker zu machen. Ihre „Schuldenbremsen“mit 3% Neuverschuldung bei 5% Wachstum (Hallo!!!!!!!!!) waren eine einzige Lachnummer. Aber, wie gesagt, es war schon von Vorteil, die „Schlaraffenland-Träumer“ am Leben zu halten. Als Bad Banker waren die eine Wucht in Tüten. Unser Insolvenz-Planverfahren in Eigenverantwortung hat funktioniert, auch wenn es deutlich länger als zwei Jahre dauerte. Wie sonst hätten die Gläubiger der Gutbürgerlichen wieder an ihr Geld kommen sollen. Nur ihr „Neugeschäft“ lief halt nicht mehr so wie gewohnt.
Noch ein kleiner Einschub zum „Unternehmerstaat“. Vor einhundert Jahren sind auch solche Sachen passiert: Als eine neue Identitätskarte (Personalausweis) eingeführt wurde, sollte man damit auch im Internet identifizierbar sein. Die Soft­ware dazu ließ noch eine Weile nach Einführung der Karte auf sich warten. Eine Nachfrage beim zuständigen Ministerium wurde mir so beantwortet: „Das regelt der Markt“. Natürlich gegen irgendeine Bezahlung. Eine solche „Abkochnummer“ gab es kurz darauf auch bei der elektronischen Steuererklärung. Da gab es Sicherheitsstufen bei den Zugangsprogram­men, die unterschiedlich viel kosteten. Und wenn einer nachfragte, ob „das auch alles korrekt sei“, so bekam er eine professurale Antwort: „Ja, das ist alles marktwirtschaftskonform und so weiter und so weiter“ (Diese Antworten waren wohl eher für die ehemaligen DDR-Bürger gedacht gewesen, damit die auch mit Stempel und Testat wußten, woran sie waren).
All das hatte mit unserem Unternehmerstaat nichts gemein. Da ging es nur ums Abzocken, um das ganze marode System am Laufen zu halten. Genauso wie bei den Privatisierungsarien. Da wurden sozusagen „Lizenzen zum Ausbeuten“ vergeben, um sich „die Märkte“ gewogen zu halten. Das war wirklich die lebende Ferengi-Gesellschaft: Wenn man dort vor der Audienz beim großen Nagus zur Toilette wollte, dann mußte man schon für die Erlaubnis zu fragen, wo die denn sei, einen Streifen Latinum bezahlen. Jetzt aber mal ehrlich: Wer wollte schon in einer Filmkulisse leben!
So, und jetzt noch zum Sozialsystem. Der Bismarck wurde ersetzt durch die alte aber umso treffendere Weisheit „Der Teufel scheißt auf den größten Haufen“. Irgendein Bundes-Herzog hatte einmal gemeint, eine beitrags- oder staatsfinan­zierte Rente auf eine kapitalgedeckte Basis zu stellen, das würde nichts bringen. Das würde ja Jahrzehnte dauern. Nun, bei jedem Einzelnen sollte es nach der Meinung der Gutbürgerlichen aber funktionieren, oder riestern wie die sagten. Hat es natürlich nicht.
Die Lösung war ein Haufen. Ein richtig großer Geldhaufen (für Renten- und Krankenversicherung), der den Rest der (Finanz)-Welt so richtig aufmischen konnte. Unsere speziell geschulten Leute aus den Reihen der „Incorruptii“ haben den I-Babies (vormals Investment-Buddies) so richtig in den Hintern treten dürfen. Die haben diese Nasen abgekocht, was das Zeug hielt. Deren Haufen war so groß, die konnten hebeln ohne Fremdgeld … Nein! Die waren ganz brav. Die hatten aber schlicht und ergreifend aufgrund der Haufengröße stets die Nase vorn. Und, ich gebe es ja nur ungern zu: Wir haben das einfach abgekupfert. Iregndwo im schwedischen Norden. Ich nenne aber keine Namen. Na und? Besser sauber kopiert als schlecht erfunden!
So, und nun ist es an der Zeit auch diese Katze aus dem Sack zu lassen: Die Unternehmen wurden komplett aus dem ganzen Sozialsystem herausgenommen. Die sollten Mehrwert schaffen, sonst nichts. Und wenn sie das nicht mehr konnten, dann wurden sie begraben. Das waren nämlich die eigentlichen „Chinesichen Verhältnisse“, die alle immer so herbeigesehnt hatten: Nicht die Diktatur der Unternehmen, sondern die Diktatur über die Unternehmen.
Spaß gemacht. War ein Witz. Aber als alles beherrschende „Klasse“ waren die Unternehmen so richtig „out“. Die durften Geld verdienen, bis es ihnen zu den Ohren herausquoll. Ihr Rat und ihre Ideen waren durchaus gefragt. Sie wurden für gute Leistung auch geachtet. Aber auch nicht mehr. Die Verbände existieren schon lange nicht mehr.

Die Spieler auf dem Feld: Leistung bekam ihren Wert

Das Ziel allen Wirtschaftens wurde, ich sage es noch einmal, das Schaffen von Werten. Dazu gehörten die Unternehmen und die Arbeiter. Den „Arbeitgeber“ und den „Arbeitnehmer“ gibt es allerdings nicht mehr. Die Verbände verschwanden und die Gewerkschaften auch. Es ging nicht mehr darum, sich „hochzudienen“, „klein anzufangen“, „dankbar dafür zu sein, überhaupt noch eine Stelle zu bekommen“ oder „wie der Vater, das ganze Berufsleben in einem Betrieb zu verbrin­gen (der Sicherheit wegen)“. Es ging beiderseits ums Geldverdienen. Was zählte, war die Leistung – und die hängt nun einmel vom Lohn ab. Und ansonsten von gar nichts.
Die Unternehmen wurden „endlich befreit“: von Sozialabgaben und natürlich auch von der Gewerbesteuer. Der Grund dafür liegt in einem schönen alten Sprichwort verborgen: „Wer die Musik bestellt, der muß sie auch bezahlen“; was umgekehrt heißt: „Wer nichts bezahlt, der entscheidet auch nicht, welches Stück gespielt, ja ob überhaupt gespielt wird“.
Die Unternehmen mußten allerdings Abgaben leisten und natürlich Vorschriften zum Unfallschutz und zur sonstigen Sicherheit erfüllen. Wer also meinte, ich gehe jetzt nach Deutschland und hole mir aus dem Kral ein paar Leute. Die lasse ich dann mit bloßen Händen im Dreck wühlen, weil ich der große Massa bin, der merkte gleich bei der ersten Anfrage, daß er hier falsch war, vollkommen falsch, lebensgefährlich falsch.
So, nun genauer zu der Geschichte mit den Abgaben, Das war ein ganzer Katalog von „Aufwandsentschädigungen“, die hier ein Unternehmen leisten mußte. Da war von der Infrastrukturabgabe „Straße und Schiene“ bis zur „Entschädigung für Luftverschmutzung durch Zigarren rauchendes Management“ alles drin. Auch der wirklich größte Unsinn. Aber die Unternehmen konnten das natürlich vermeiden.
Denn das Ziel war ein ganz anderes: Die Unternehmen sollten saubere, technisch einwandfreie und lohnende Betriebe hinstellen. Hinterhofbuden wollten wir nicht. Und das haben sie dann auch getan. Sie haben schön alle „Auflagen“ erfüllt, um sich von möglichst vielen Abgaben zu befreien. Und wer das ganz schnell und ganz gut machte, der bekam auch noch Gutschriften für seine Vermögenszuwachssteuer.
Das alles funktionierte wie das Geschäft mit Rabatten: Vorher draufschlagen und dann Rabatte geben. Das ist kein „böser Trick“, Rudi. Menschen sind so. Sie wollen ihr Erfolgserlebnis haben. Und damit sie über den Ochser kommen, ohne ihn umzureißen, muß man ihn halt erst einmal aufstellen, den Ochser. Das weiß doch jeder Springreiter. Und selbst wenn ich das ganze Land mit Handzetteln pflastern würde, um über diesen „Trick aufzuklären“ – er würde immer wieder funktio­nieren. Schön, nicht wahr?
Insbesondere für neue „Player“ war das alles gedacht. Ich habe Dir ja schon gesagt, die alten (Erben-) Unternehmer hier im Lande, die waren für uns gar nicht mehr so wichtig. Die drohten ja ohnenhin damit, wegzuziehen. Nun, dann sollten sie halt gehen. Hauptsache, sie standen nicht mehr im Wege.
Der wichtigste Punkt aber war, daß die Unternehmen keinen Zugriff mehr auf die Menschen bekamen. Der „Feudalistische Machtfaktor“ wurde sozusagen aus unserer Gesellschaft herausoperiert – mit chirurgischer Präzision. Denn wer keinen Zugriff auf die Menschen hat, der beherrscht sie auch nicht.
Die Arbeiter organisierten sich in Genossenschaften, sie wurden dadurch selbst zu Anteilseignern eines Unternehmens. Darüber „verliehen“, genauer: vermarkteten sie sich selbst. Das Unternehmen „stellte nicht mehr ein“. Es kaufte Leistun­gen ein. Dafür mußte es bezahlen. Dafür mußte es gut bezahlen. Selbstverständlich haben wir auch da Mindeststandards eingeführt. Es ging darum, Geld zu verdienen, nicht darum, Geld zu wechseln.
Damit war auch das „Reichenpoblem“ gelöst. Nachträgliche Almosen brauchte niemand mehr zu erbetteln, wie man das damals immer mit dem Hinweis auf „Eigentum verpflichtet“ versuchte. Bezahlt wurde vorher. Wie groß auch immer die Gewinne der Unternehmen wurden, Macht konnten sie damit so leicht nicht mehr ausüben, denn niemand war auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen. Politische Führung ist halt doch so etwas wie „Vorausschauende Fahrweise“.
Na schön, Du hast recht, Rudi! So „rein“ haben wir das natürlich nicht gemacht. Mancher Unternehmer, vor allem der Einzel- oder Familienunternehmer, braucht halt seinen Hofstaat, insbesondere seine Hofnarren. Und einige geben ja auch recht gerne und recht gut den Narren ab. Wir haben daher schon noch einen kleinen Prozentsatz an sogenannter Stamm­belegschaft aus sogenannten Fachkräften. Ja doch, es gibt mittlerweile gut funktionierende Fachschulen für Hofnarren, denn: „Ein bißchen Spaß muß sein, dann ist die Welt voll Sonnenschein!“
Jetzt wieder ernsthaft: Die Genossenschaften waren auch Kern der ganzen Arbeitslosen- und Unfallversicherung, auch einer zweiten Rentenversicherung. Daher waren diese Genossenschaften auch nicht gerade klein. Auch hier galt das „Prinzip des großen Haufens“.
Und sie sorgten durch Selbstkontrolle dafür, daß jeder ihrer Genossenschafter schnellstmöglich wieder ans Arbeiten kam. Allerdings an ein profitables Arbeiten. Aus purem Selbsterhaltungstrieb (Sie dachten eben rein unternehmerisch!) machten sie nur die Dinge, die auch Profit brachten, die ihnen selbst Profit brachten.
Die Genossenschaften „machten“ im übrigen auch die berufliche Ausbildung. Ihre Genossenschafter kannten die betrieb­lichen Belange nach kurzer Zeit besser als die Unternehmer selbst. Sie wußten ganz genau, wann sie Leerlauf hatten und warum. Sie wußten ganz genau, welche Arbeit verbessert werden konnte und wie. Sie berieten ihre Auftraggeber sogar. Allerdings: Guter Rat ist teuer. Aber das ist er schon seit Anbeginn der Zeit.
Und die Umkehr der Machtverhältnisse zwischen diesen beiden Polen (“Kapital und Arbeit“), die war nicht so neu: Jeder von den „Größten Outsourcern aller Zeiten“ damals hatte ganz schnell erfahren müssen, daß er selbst das überflüssige Glied in der Kette war. Macht steht eben immer auch auf einem sehr sumpfigen Untergrund.
Ach ja. Wer meinte, ich leihe mir jetzt einmal ein paar Leute, mache einen guten Vertrag – und schicke dann nach der halben Laufzeit alle wieder heim, der war ein wenig auf dem Holzweg. Der bekam solange mit dem Handelsgesetzuch den Hintern verdroschen, bis er lachte. Die Dummdreisten sterben halt nie aus.
Noch eine kleine Ergänzung dazu, Rudi. Unsere Gefängnisinsassen und unsere Behindertenwerkstätten sind im übrigen genauso genossenschaftlich organisiert. Diese beiden Gruppen sollten damals möglichst billig arbeiten, um „der Gesell­schaft etwas zurückzugeben“. Wir fanden, daß verurteilte Straftäter den Schaden, den sie angerichtet hatten, wiedergut­machen sollten. Sie sollten ihre Opfer entschädigen. Sie sollten tüchtig arbeiten, aber zu ordentliche Löhnen. Und die ordentlichen Löhne galten auch für die Behindertenwerkstätten. Die sollten Stolz auf ihre eigene wirtschaftliche Leistung sein können. Alles andere wäre im übrigen auch reine Wettbewerbsverzerrung gewesen. Es konnten ja nicht alle Unternehmen dort arbeiten lassen. Und mit dem Thema Wettbewerb, lieber Rudi, nehmen wir es sehr genau.
Noch etwas zu dem Wertgedanken, Rudi. Vor hundert Jahren gab es viele, die wollten Sozialtickets für die Armen ein­führen, für Bus und Bahn. Oder die wollten gebührenfreie Gratiskonten bei den Banken. Almosen, lieber Rudi, helfen nur denjenigen, die sie geben. Bei uns heute kostet selbstverständlich ein Bankkonto Gebühren, dafür sind aber auch ab dem ersten Pfennig (Entschuldigung!!!!!!!! Cent oder wie die Dinger jetzt auch immer heißen!) Einlage Zinsen fällig. Und wer verhandeln möchte, der kann doch gern auf Zinsen für xyz,00 verzichten, wenn er dafür keine Gebühren zahlen muß. Und wenn dann eine Bank meint: „Ja, wo sind wir denn! Hier wird doch nicht verhandelt. Hier wird gehorcht!“ Nun, dann sollte sich diese Bank ein neues Land suchen. Hier bei uns hat sie keine Zukunft. So geht das mit dem Wertgedanken.

Und was war mit der Demokratie und der Wählerei und dergleichen?

Wir Waldschrate wären sehr gern zum Tingplatz in den Wald gegangen. Wir hätten sehr gern mit den Schwertern gegen die Schilde geschlagen oder sehr gern ausgiebig gemurrt. Das war aber schon allein deshalb nicht praktikabel, weil stets die Frösche dazwischengequakt haben. So hätte nie einer gewußt, ob wir zustimmend geklappert oder ablehnend gemurrt hätten. Und uns wäre es auf Dauer auch ein wenig zu kalt geworden.
So blieb uns doch gar nichts anderes übrig, als eine wirklich funktionierende repräsentative Demokratie auf die Beine zu stellen. Ja, Rudi, eine repräsentative Organisationsform. Dazu brauchten wir aber einen neuen Typus Abgeordneten und eine neue Basis der Selbstorganisation. Mit letzterer will ich anfangen.
Der Föderalismus alter Ordnung, so will ich das einmal benennen, der war genaugenommen doch nichts weiter als die Wiederauferstehung der Fürstentümer und sonstigen „Herrschaften“ in der Restauration (im Anschluß an den Napoleon). So wurde das auch von den Bürgerthalern gesehen. Ich erinnere mich noch sehr genau an einen meiner Bürgermeister, der sich selbst und seine Kommune lediglich als unterste Stufe der Obrigkeit verstand. Und als solche konnte man natürlich selbst nicht allzuviel machen und so weiter und so weiter …
Wir haben die Selbstorganisation ganz einfach auf das gegründet, was die Menschen sowieso im Kopf hatten: Sie fühlten sich einer bestimmten Region oder Landsmannschaft zugehörig. Sie verstanden sich als Franken oder Oldenburger, als Düsseldorfer oder Holsteiner oder als was auch immer. Diese Regionen waren sogar sehr genau abgrenzbar, sprachlich zum Beispiel. Und sie hatten eine feste historische Verankerung. Darauf haben wir aufgebaut.
Diese Regionen verwalteten sich selbst. Immer nach der gleichen Struktur: Repräsentantenhaus nach Kopfzahl, von dort gewählte Verwaltung und von allen gewähltem, na sagen wir einmal „Vorsteher“. Und der war tatsächlich der „Chef“. Und das heißt, der war verantwortlich. Und ansonsten war der gar nichts. War der schlecht, dann flog er raus. War er gut, dann war es gut so.
Dasselbe galt auch für die Region an sich. Florierte sie, dann war es gut, war sie zu klein, zum Beispiel, und florierte deswegen nicht, na dann fusionierte sie halt. Hat manchmal gedauert, aber in der ganzen Struktur, in diesem lebenden Regionen-Gewebe ist schon Leben drin gewesen und ist es immer noch. Und das ist auch richtig so.
Über dieses lebende Gewebe noch irgendwelche, erstickenden Obrigkeits-Strukturen (ob Regierungspräsidium, ob Kreis, ob Land oder ob sonstwas) zu legen, war einfach nur überflüssig. Niemand brauchte das. „Flache Hierarchien“ hieß das. Die Regionen bekamen einfach einen Anteil (einen recht großen, um genau zu sein) der Mehrwertsteuer (Das war auch für sie die Quelle und sonst gab es keine!) in die Hand, einen weiteren aufs Sparkonto („Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not!“). Und fertig war die Angelegenheit.
In jeder Region gab es dazu das kleine, bescheidene und wenig kostende „Staatshaus“ mit den Incorruptii drin. Und die haben nicht geknausert. Die haben schon aufs Geld aufgepaßt, aber die haben auch ihren Beratungsauftrag ernstgenom­men. Zum Beispiel war dies wichtig, wenn eine Region unbedingt noch größer und schöner, noch bunter und lauter werden wollte als die Nachbarn. In aller öffentlichen Deutlichkeit haben die Incorruptii dann die Bevölkerung darauf hingewiesen, im Quartalsaudit (kommt gleich noch genauer). Das reichte im allgemeinen aus, die Kirche im Dorf zu lassen.
Vielleicht hast Du, lieber Rudi, etwas von der „Bewegung der Kleinkleckersdorfianer“ gehört. Das war eine Sekte bei uns Waldschraten. Die hatten ihren Wald so lieb, die wollten drin bleiben. Auf einer kleinen Lichtung. Das war ihre heile Welt. Je kleiner, je besser. Nun, denen mit einer strengen Gebietsreform beizukommen, wäre nie gelungen. Ihre Vorsteher sind dann, zunächst konspirativ und heimlich zu den anderen Regionalchefs gegangen, als ihre Lichtungen wirklich zu klein geworden waren. Alle anderen haben so getan, als wüßten sie nichts. Und plötzlich waren auch die einer anderen Region beigetreten. Einfach so. Lessons learnt: Schön leise und gelassen nach Lösungen suchen. Und Menschen die Chance geben, ihr Gesicht zu wahren.
Einzig und allein eine Struktur wurde „übergestülpt“: das Netz der Wahlkreise für die Repräsentanten des ganzen Landes (nach Kopfzahl). Die wurden direkt gewählt. Das heißt, es war egal, ob die einer Partei angehörten oder nicht. Es war auch egal, ob die im Staatsrepräsentantenhaus Fraktionen bildeten oder nicht. Das hatte eigentlich nur den einen Grund: Sie sollten sich nicht hinter denen verstecken können, nicht hinter Partei noch hinter Fraktion. Bei uns wurden nämlich sehrwohl Personen gewählt, Menschen, von denen sich jeder nicht nur die gleichen Überzeugungen wir die eigenen erwartete, sondern auch einen manchmal ganz persönlichen Vorteil. Das war nicht weiter schlimm, das war einfach nur menschlich.
Die Staatsregierung, die gesamte Regierung wurde direkt gewählt, sie hatte auch großen Spielraum. Die Repräsentanten hatten die Pflicht, diese, für sie „fremde“ Regierung zu „beaufsichtigen“. Sie konnten die Regierung nicht absetzen. Sie konnten aber einen Volksentscheid veranlassen. Das Volk war dann gezwungen, über den Verbleib der Regierung zu befinden. Ansonsten hatte die Regierung durchzuhalten und ihre Arbeit zu tun. Zurücktreten durfte nur, wer den Kopf unter dem Arm hatte. Regierungsverantwortung ist bei uns zur Regierungspflicht geworden.
Jeder Repräsentant (Region oder Staat) mußte sich in jedem Quartal einem Audit unterziehen. Das war eine dreitägige Veranstaltung, öffentlich bis in den letzten Winkel übertragen, auf der er Rede und Antwort stehen mußte. Jedermann gegenüber. Dafür wurde er bewertet. Damit wurde ein Leistungsnachweis erstellt, der darüber entschied, ob er wieder­gewählt werden konnte. Und wenn es ganz schlecht für ihn lief, dann wurde er halt „freigestellt“.
Verstehe mich richtig, Rudi. Der Repräsentant war dem Gesetz und seinem Gewissen gegenüber verantwortlich. Genau diese Gewissensentscheidung aber mußte er auch verteidigen können.
Das ganze lief natürlich über Internet, wie denn sonst. Jeder konnte da seine Punkte vergeben. Zum „Freistellen“ war aber schon ein Quorum nötig, und nur die Wahlberechtigten konnten das. Punkte vergeben an sich konnte aber jeder.
Und der Typus des Repräsentanten? Selbstverständlich war das ein Berufspolitiker. Und klar hatte der eine Partei hinter sich. Wer sonst hätte die ganze „Auditerei“ auf sich genommen. Allerdings mußte es schon jemand sein, der ein gewisses Format hatte, was sich durch das Auditsystem bei vielen auch erst entwickelte, entwickeln konnte, entwickeln durfte (Wir wurden nämlich immer geduldiger und unaufgeregter, was dann auch die Pleite der BILD-Zeitung sehr schnell herbei­führte). Sich im Schatten einer Partei nach oben schleichen oder als Parteisoldat, daraus wurde ja nichts, der persön­lichen Verantwortung im Audit wegen. Leitungsfähigkeit war schon vonnöten. Die vor hundert Jahren üblichen „Kollegen der Parlamentswerke GmbH & Co. KG“, die ihre Legislaturperioden verlängern wollten, um besser „vernetzt“ zu sein, die kamen nicht mehr weit.
Was sagst Du, Rudi? Die BILD-Zeitung kennst Du gar nicht. Die findest Du im Museum. Sie steht mit zwei anderen Zeitungen dort in einem gasdichten Behälter: „Der Stürmer“ und „Völkischer Beobachter“, Gasdicht ist der Behälter, damit kein Museumsbesucher durch den Pesthauch, der von den Exponaten ausgeht, Schaden nimmt. Ist so etwas wie der Fluch des Pharao.
Hinzu kam für unseren Unternehmerstaat noch ein jährliches Audit für die großen Projekte. Jedes Jahr wurde einmal über den Fortschritt befunden. Und es ist durchaus vorgekommen, daß Projekte abgebrochen wurden. So wurde einmal eine ganze Reihe von Großflughäfen, die den Luftverkehr eigentlich durch Bündelung reduzieren sollte, nach drei Jahren wieder „gekippt“. Das lief nicht so wie es hätte sollen. Wer lernen will, der muß eben auch Lehrgeld bezahlen.
Gewählt wurde regelmäßig alle zwei Jahre: einmal die Regionen für vier Jahre, einmal im Staat für vier Jahre (einschließ­lich Regierung). Und einmal im Quartal halt die „Überprüfung des Leistungsstandes“. Hier war und ist immer etwas los.
Die siehst, Rudi, es wurde keineswegs einfacher. Weder für die Gewählten, noch für die Wähler. Aber das ist nun einmal so: „Ohne Schweiß kein Preis“. Die Zappeligen unter den Repräsentanten, die immer nur auf das nächste Audit hinarbei­teten, die überlebten selbst die erste Runde nicht. Und die Wähler, die meinten, mit dem Dartpfeil auf die Scheibe werfen, das wäre es gewesen. Nun, die waren, was sie schon immer waren: lustige Zeitgenossen. Mitentschieden haben die gar nichts. Am leichtesten tun sich bei uns die Gelassenen. Sie sind immer aufmerksam dabei, sie verfolgen das Geschehen. Aber sie überschlafen auch ihre Entscheidungen. Und wenn sie meinen, es wäre besser, nicht zu entscheiden, dann tun sie eben genau das.
Ein sehr wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang noch die Informationsbörse. Die haben wir jedem Menschen zugänglich gemacht, per Internet bis ans Bett. Da war wirklich alles drin. Jeder konnte zu jeder Zeit auf alle Informationen zugreifen (Früher hieß das einmal Kaizen, war gedacht für den Industriebetrieb; hat nie richtig funktioniert, weil jede Knallcharge „Herrschaftswissen“ für sich behalten wollte; jetzt wurde damit ernst gemacht).
Das ganze „Volksleben“, will sagen: Das politische Leben, ist in den letzten hundert Jahren viel leiser, viel gelassener geworden. Jeder weiß, daß an dem Sprichwort: „Es wird nichts so heiß gegessen wie es gekocht wird“ etwas dran ist. Jeder kann regelmäßig in das Geschehen eingreifen, jeder kann sich jederzeit informieren, aber jeder muß sich auch mit jedem verständigen können.
Eines ist da noch. Wenn die Selbstverwaltungseinheiten, die Regionen, doch so gut funktionierten, was sollte dann der Staat noch? Weißt Du, Rudi, ein Staat lebt durch sein Staatsvolk. Wenn das sich so versteht, dann ist er da. Mehr steckt nicht dahinter. Entweder hast du ein Vaterland oder du hast keines.

Und wie ging das alles über die Bühne, wie habt ihr das hingekriegt?

Schnell und einfach ging das. Der erste Schritt war, den Menschen in unserem Land aufzuzeigen, ja ihnen nur einmal kurz, blitzartig vor Augen zu führen, was die Gutbürgerlichen angerichtet hatten. Die hatten nämlich eine neue Unter­schicht der Sklavenarbeiter erfunden, die Leiharbeiter. Allederdings hatten sie dabei den gleichen Fehler gemacht, den alle selbsternannten Herrenmenschen machen. Sie hatten sich von ihren Sklaven abhängig gemacht.
In unserem Fall war das so: Die Leiharbeiter hatten die gesamte Logistik in der Hand. Dort lief nichts mehr ohne sie. Und Logistik, das ist das Ding, mit dem man der Wirtschaft einfach den Stecker ziehen kann. Haben wir auch gemacht. Allein die Aussicht auf nur sieben Tage Ausfall der Leiharbeiter – die sich plötzlich an einem Montag etwas unpäßlich fühlten –, machte allen klar, was hier los war. Schon am zweiten Tag waren die Lebenmittelmärkte leer und die Leiharbeiter wieder genesen.
Das war eingentlich nichts weiter als eine kurze Demonstration. Ohne echte nachhaltige Wirkung. Aber die Gutbürger­lichen waren dadurch vollkommen aus der Spur gebracht. Das Damoklesschwert der Ohnmacht schwebte über ihnen. Sie hatten zwar selbst immer gewußt, daß das mit den Leiharbeitern so nicht gut gehen konnte. Mir hatte einmal ein gutbür­gerlicher Arzt (also kein Heiler wie wir ihn verstehen) gesagt: „Wie, Herr Schrat, Sie sind Leiharbeiter! Aber da müssen Sie doch immer für andere (die Verleiher) mitarbeiten. Das ist doch nichts.“ Er hatte Recht. Nur begriffen hatte er nichts.
Es war eine Zumutung, stets ein dickes, nach seiner Flasche schreiendes Kind mit sich herumzutragen. Die Leiharbeiter­genossenschaft war die erste, die wir geschaffen haben. Der Rest ging eigentlich von allein.
Und ansonsten haben wir halt das ganze System da ausgehebelt, wo es am einfachsten war. Die Parteienlandschaft wurde um eine Partei erweitert, um den Fuß in die Tür zu kriegen. Wir haben die Vaterlanspartei gegründet. Denn genau darum ging es: Das eigene Vaterland neu aufzubauen. Wer von anderen etwas erwartet, der muß halt erst einmal vor der eigenen Türe kehren. Der muß halt erst einmal sein eigenes Haus bestellen.
Aber dieses Wort „Vaterland“. War das denn nicht verboten? Ich kann mich nicht daran erinnern. Es hätte mich auch nicht gestört. Das ganze politische Leben damals bestand fast nur noch aus Denkverboten und Denkverbotinnen. Klar gab es da die eine oder andere hochgezogene Augenbraue, ordentlich hochgezogen sogar. Aber die kam auch wieder runter. Wie schon gesagt: Entweder hast du ein Vaterland oder du hast keines. Punkt.
Und in genau diesem Stil lief die ganze Sache weiter. Es kam nicht so sehr auf neue Gesetzgebung und ähnliches an. Viel wichtiger war es, all denen Gehör zu verschaffen, die bis dahin in die Ecke der „Spinner“, der „Geht aus Sachzwang­gründen nicht“, der „Geht aus politischer Rücksichtnahme nicht“ und der „Geht nicht aus ?????“ gestellt worden waren. Dazu gehörten auch die „Experten“. Bei uns durften sie mitmachen. Vorne, wenn sie wollten. Sie waren nicht mehr nur Kofferträger brunzdummer Bürgerthaler.
All die Veränderungen im Energiebereich, die ich Dir beschrieben habe, die brauchten im wesentlichen gar nicht erfunden zu werden. Die Herrschenden hatten, in guter kapitalistischer Tradition, jeder Innovation den Weg versperrt, die ihre Pfründe hätte auch nur ansatzweise gefährden können. Nun, deren Lobbyisten wurde einfach nur den Zugang zur politischen Führung verwehrt. Sie klingelten Sturm an der Tür, aber sie wurden nicht mehr eingelassen. Oder gaubst Du, ich hätte jemals auch nur einen Fuß in das KDF-Werk in Fallersleben gesetzt.?
All die anderen aber, die haben wir uns angehört. Lange und geduldig. Auch die ganz verschrobenen. Warum auch nicht. Zeitdruck dann zu erzeugen, wenn es auf Genauigkeit, wenn es auf wirklich bedeutungsvolle Veränderungen ankommt, ist eher weniger zielführend, um eine Floskel aus der Zeit zu gebrauchen.
Wir haben es Menschen ermöglicht, hochzukommen. Nach eigenem Glück zu streben. Und wenn die sich halt als etwas Besseres, wenn die sich halt als Elite verstanden, dann war es auch gut. Der zum Beipiel mit dem ersten neuen Auto (die Modellreihe „El Furioso“, vom Kleinwagen bis zum Transporter), der hat auch eine absolut elitäre Hochschule gegründet. Noch heute sehen die sich dort als „King of the road“. Na und! Wir waren nicht die mit dem Neidkomplex. Dem richtigen Neidkomplex der Gutbürgerlichen: Bloß niemanden hochkommen lassen. Das gefährdet nur die eigene Macht. Das verhindert aber auch jede Verbesserung. Und die Gefahr neuer Herrschaftsklassen, nun die haben wir ja anderweitig abgewendet. Wer keinen direkten Zugriff auf die Menschen hat, der beherrscht sie auch nicht.
Im übrigen: Wer gehen wollte, vor allem solche aus den Reihen der mittelständisch mittelmäßigen (Erben-) Unternehmern, der konnte gehen (wir waren sogar froh darüber). Die konnten mitsamt ihrem Hofstaat, mitsamt ihrer Stammbelegschaft gehen. Die konnten auch ihr Geld mitnehmen. Wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört. Die Welt war vielleicht doch zu groß für sie.
Übrigens: Es wurde eine neue Verfassung gemacht. Die alte zu flicken reichte nicht. Hat nur einen Sommer gedauert.
Und Europa und die Welt? Haben die denn nicht geschimpft oder sogar mit dem Fuß aufgestampft? Weiß ich nicht mehr. Ich hatte nicht hingehört. Doch haben sie wohl, aber wir haben ihnen halt einfach nicht mehr dreingeredet, wie das bis dahin immer so war. Die sollten nicht so werden wie wir. Wir wollten uns selbst neu „aufstellen“, wie man das so sagte. Und solange wir uns um uns selbst kümmerten, solange waren die anderen auch beruhigt.

Das ist die Lektion: Gordischer Knoten gefunden – und gelöst!

Nur diese wenigen Kernpunkte reichten völlig aus, um den Neustart auszulösen. Es war kein objektives Problem, das es zu lösen galt. Rudi, das sollst du erkennen. Der berühmte Gordische Knoten, den keiner lösen und den nur irgendein Superheld durchschlagen konnte. Diesen Knoten gibt es gar nicht. Und wenn, dann höchstens im Kopf. Und wenn Du ihn da vorfindest, dann lasse ihn einfach nach unten gleiten, setze dich hin, entspanne  – und laß ihn fallen (Spülung drücken nicht vergessen). Gegen die Schwerkraft hat auch solch ein Knoten keine Chance.
Nur die Bürgerthaler, die immer noch an ihrem Zug standen, die wollten einfach nicht gehen. Niemand hätte sie auch haben wollen. Da haben wir ihnen um ihren Zug herum ein Reservat gebaut. Da sollten sie nach ihrer Façon glücklich werden. Wurden Sie aber nicht. Und sie sollten uns noch einmal mächtig gewaltig auf den Geist gehen. Einmal noch.

Das Ende der Bürgerthaler

Eine Generation lang hatten wir von denen nichts mehr gehört. Aber dann! Und fast hätten wir dabei vergessen: Gelas­senheit statt Aufgeregtheit! Lieber dreimal nachdenken! Doch eines nach dem anderen.
Die ersten Jahre hatten die Bürgerthaler ja in ihrem Reservat noch die Erforschung des Landes hinter der sanften Kuppe ganz oben auf der Agenda. Aber dann hatten sie dazu keine Lust mehr und wollten zurück zu ihren Wurzeln.
Sie fingen all die Spiele von früher wieder an zu spielen. So spielten Sie „Fördern und Fordern – Wir hartzen uns zu Tode!“ Das war das Erklimmen eines sanduhrförmigen Turmes (so ein Kühlturm). Immer wenn man mitten drin auf der Strecke in der Luft hing, dann wurden von oben die Kletterseile gekappt.
Ein anderes Spiel war „Flexible Arbeitsordnung – Wir telefonieren mit der SS!“ So hatten das ihre Vorfahren gemacht. Immer wenn sie Arbeiter brauchten, haben sie bei der SS angerufen. Die hatten wirklich die alten Telefonnummern wieder aktiviert! Das ging uns dann so langsam ganz gewaltig auf die Nerven.
Als sie aber anfingen, „Selektion an der Rampe“ zu spielen, da war das Maß voll. Wir stellten diese Dreckschweine zur Rede. Die antworteten aber nur in rotzfrecher Proletenart: „Na und! Wir sind doch jetzt Demokraten!“. Der mir das erwi­derte, denn wollte ich auf der Stelle erschießen.
Es waren aber die ganz alten, besonnenen Waldschrate damals dabei. Die haben uns mittelalte Schrate daran gehindert, einfach nachzuholen, was 1945 versäumt worden war. So haben wir in drei Tagen und Nächten die ganzen „Werke“ der Bürgerthaler niedergebrannt, daß noch nicht einmal Ruinen übrigblieben. Danach haben wir uns erst einmal zurück­gezogen und beraten.
Was sollten wir mit denen machen? Denn die anderen Staaten um uns herum hatten sehr genau hingesehen, was wir da so trieben. Sie hatten schon Angst vor einem Bürgerthalerkrieg bei uns. Traditionsgemäß, um es einmal so zu umschrei­ben, hätten wir den garantiert „exportiert“. Sie hatten nämlich vor allem Angst davor, daß wir ihnen die Bürgerthaler hinüberjagen würden.
Aber die mußten weg! Also kamen wir auf die Idee, sie in der Antarktis anzusiedeln. Aber als ich sah, wie die Pinguine in Tränen ausbrachen, als wir unseren Wunsch vortrugen, da erbarmte es mich. Ich konnte einfach nicht so Gottes Schöp­fung schänden.
Dann kam einer unserer ältestens Schrate auf die Idee: „Make Love! Not War!“ Was war das? Hatte der alte Tattergreis sich wieder an die Hippies erinnert, hinter seiner faltigen Stirn? Nein. Was der da sagte war genial. So läuft das immer in der Evolutution der Menschen, auch der schratigen. Eine Art verschwindet sicherlich zum Teil durch Inzucht. Vor allem aber durch Aufgehen in einer anderen. Es bleibt dann halt immer ein Rest im Genpool (wie von den Neanderthalern), aber die Art an sich ist verschwunden. Wir brauchten nur nachzuhelfen. Wir mußten die einfach nur gezielt verkuppeln. Und die Bürgerthaler, die das nicht wollten, die konnten ja gern auf die Ergebnisse der Inzucht warten.
Für uns Schrate kam das aber ganz und gar nicht in Betracht. Gott sei Dank sind wir ja von unserer ganzen Art die Häß­lichkeit in Person (dicke Nase mit Warze darauf und so). So ging dieser Kelch an uns Schraten vorbei.
Wir haben noch einmal richtig Geld in die Hand genommen und eine riesige „Romeofalle“ gebaut. Wir haben die Besten der Besten der Besten der Giggolos und Romeos weltweit angeworben. Wir haben sie fürstlich entlohnt. Sie waren echte Spezialisten. Sie waren Kapazitäten. Hut ab! Die haben die Weibchen der Bürgerthaler gleich in ganzen Hundertschaften verführt Die nächste Generation war zwar äußerlich etwas bunter als vorher, was ganz gut aussah. Innerlich, vor allem charakterlich aber war die schon um Klassen besser. Drei Generationen und der Drops war gelutscht!

Heute

Alles erledigt? Stehenbleiben gibt es in Gottes Schöpfung nicht; man kann sich nur ab und an etwas ausruhen. Du, Rudi, darfst dich noch nicht ausruhen. Daher zum Abschluß: Mein Vaterland, so wie ich es mir als junger Schrat in der Kobold- und Wichtelschule einmal ausgemalt hatte:
Mein Vaterland ist leise …
In meinem Vaterland da sind nur das Rauschen der Bäume im Wind
und das Lachen der Kinder laut
In meinem Vaterland da hören die Menschen einander zu
Mein Vaterland ist respektvoll …
In meinem Vaterland da achten die Menschen einander
und sie anerkennen des anderen Art
In meinem Vaterland da bedankt man sich
Mein Vaterland ist ehrenhaft …
In meinem Vaterland da bekennen sich die Menschen zu ihrer Schuld
und zu dem Leid, das sie anderen gebracht haben
In meinem Vaterland da bittet man
Mein Vaterland ist tapfer …
In meinem Vaterland sieht niemand weg,
wenn ein anderer bedroht wird
In meinem Vaterland da fürchtet man sich nicht
Mein Vaterland ist fleißig …
In meinem Vaterland da arbeiten die Menschen für ihren Erfolg,
sie wollen nicht auf Kosten anderer leben
In meinem Vaterland da ehrt man die Arbeit
Mein Vaterland soll Deutschland werden
Ich wünsche Dir ein friedliches, aber auch ein kraftvolles 2113.
Herzlichst, Dein Waldschrat.
Westfalen, am Jahresende 2112
Dieser Beitrag gehört zur Reihe „Politische Geschichte der Waldschrate in Deutschland“
Projekt: Die Relativität der Schrate – Schrate im Strom der Zeit
Autor: Peter Rudolf Knudsen