Montag, 1. April 2013

Der Wertekanon

Das heere Wort vom Wert: was ist das eigentlich? Der Wert ist die unabdingbare Leitlinie für jeden ganz persönlich, aber auch im gesellschaftlichen Umgang miteinander, in der Politik und unter den Völkern. Es gibt eben Dinge, die macht man so und nicht anders. Und es gibt Dinge, die tut man einfach nicht. So ist der Krieg auch nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Er ist die Abwesenheit jeglichen Wertes.

Aus „dem Wert“ folgert dann erst das Recht und auch das Verbot oder das Tabu. Verbot und Tabu sind dann aber selbst­auferlegt, innerlich akzeptiert und angenommen. In der praktischen Umsetzung ist alles in Gesetze gegossen, aber nur um allgemein überpüfen zu können, wo genau jemand da zwischen Recht und Verbot/Tabu gerade steht. Gesetze kön­nen die Orientierung an Werten nicht „erzeugen“, sie können nur in der Diskussion oder im Streitfall Hilfestellung geben.
Seit Jahren oft gehört und nie erklärt sind auch die sogenannten bürgerlichen Werte. Was hat es damit auf sich? Woher kommen die und was meinen sie? Das Bürgertum, als Bannerträger der bürgerlichen Werte, ist tatsächlich immer noch nichts weiter als die mittelalterliche Feudal- und Ständegesellschaft. Lediglich der Adel als Spitze dieser Gesellschaft wurde ein wenig „umgewidmet“. Ansonsten gelten „Herkunftsrechte“, bevorrechtetes Zunftwesen und mittelalterliches Schuld- und Sühneverständnis. Gerade letzteres verhindert mit seiner postulierten, ewig drohenden „Verdammnis“ jede Problemlösung, zum Beispiel bei Staatsschuldenkrisen, die nun einmal passieren können.
Wie aber  faßbare und praktikable Strukturen in die wabernde Wertewolke bringen? Werte als Leitlinie müssen greifbar und einsehbar, standhaft und anpassungsfähig zugleich sein. In Gegensatzpaaren abgebildet ergibt sich für jeden Teilaspekt automa­tisch eine gewisse Bandbreite, auf der jeder seinen persönlichen Platz finden kann. So ein Gegensatz­paar ist dann eine Waage, auf der jeder die Gewichte ein wenig verschieben, für sich persönlich „zurechtrücken“ kann. Nur die Waage ignorieren kann er nicht. Und er kann nicht eine Seite mit 100% „belasten“. Dann geht die Waage kaputt.
Respekt vs. Freiheit
Die oft und gern wie eine Monstranz vorangetragene Freiheit beschreibt eigentlich nur die Möglichkeit, Dinge auszu­spre­chen oder eben auch nicht auszusprechen, Dinge zu tun oder eben auch nicht zu tun. Dabei ist das Nichtsagen oder das Nichttun die eigentliche Schwierigkeit in der Definition. Alles freigeben kann jeder. Die Einschränkung aber innerlich zu akzeptieren ist da schon schwieriger. Als Christ oder als jeder andere Mensch mit einem Religionsverständnis kann man es sich allerdings leichter machen. „Respektregel­anwendungen“ kann der Christ einfach aus den zehn Geboten nehmen. Er  „funktioniert“ einfach danach. So kostet es ihn weder Überlegung und Überwindung, auch einmal den Mund zu halten oder seine Worte anzupassen, um nicht „falsch Zeugnis zu reden“. Gleiches gilt für den Resepkt vor der Schöpfung. Es kostet ihn keine Überwindung, ganze Landstriche nicht zu verwüsten, um ein Körnchen „seltene Erden“ zu finden. Er kann es ja auch anders versuchen. Die Freiheit dazu hat er ja. Schön ist dabei auch, daß Respekt in allen seinen Facetten eine Art Evolution durchlaufen zu haben scheint. Respekt ist uralt. Sonst wären wir Menschen schon lange nicht mehr da.
Selbstbestimmung vs. Verantwortung
Im direkten Umgang miteinander ist es genauso: Verantwortung für das Gegenüber oder auch gegenüber den Kindern ist keine Einschränkung der möglichen Selbstbestimmung. Es ist keine Einschränkung erkennbar, nur weil man sich dem Wohl anderer unterwirft. Im Gegenzug gilt halt nur gleiches.
Ehre vs. Niedertracht
Welch eine altertümliche Sprache? Ach, ist das wirklich so? Das Ehrempfinden heißt nicht umsonst Empfinden. Es ist tief in der „Gefühlsevolution“ verwurzelt. Es ist ein bestens funktionierender „Gefühlsmechanismus“. Erst wenn der ausge­schal­tet wird, dann wird es brenzlig. Die Naziherrschaft war nicht die Überbetonung (soldatischer) Ehre. Sie war die Abwesenheit von Ehre. Das sollte Lehre genug sein.
Fürsorge vs. Ignoranz
Ebenso lang ist die (soziale) Evolution dieses Gegensatzpaares. Die Fürsorge darin ist nicht nur die gegenüber den eigenen Nachkommen zum Beispiel. Sie gilt ganz allgemein dem anderen und sie gilt der Schöpfung. Die Fürsorge umfaßt auch die für den Schwachen und Armen. Und sie umfaßt die Vorsorge auch für den anderen, nicht nur für sich selbst. Ignoranz aber entzieht jeder Gemeinschaft die Lebensgrundlage, auch wenn es manchmal geboten ist, nicht genau hinzusehen. Man muß eben nicht alles mitkriegen wollen.
Führung vs. Herrschaft
Führung ist die vornehmste Aufgabe jeder Politik – und die schwerste. So weit so gut. Führung ist aber ein Wert an sich. Er hat noch gar nichts mit irgendeiner Organisationsform zu tun. Demokratie ist zwar eine erstrebenswerte Organisa­tionsform, aber eben auch nicht mehr. Allein ist sie bedeutungslos. Und Führung war „schon immer da“. Nur weil die Stimme auch des „Geringsten“ Gehör finden muß, so heißt das eben noch lange nicht, daß Führung dadurch überflüssig wird. Ganz im Gegenteil: Die Abwesenheit oder gar das Vermeiden von Führung führt unweigerlich zur Herrschaft. Und Herrschaft ist die Verkrustung von Strukturen bis hin zum Infarkt.
Kooperation vs. Unterwerfung
Eine Variation, wenn man so will, ist das nächste Gegensatzpaar. Im Idealfall kann Kooperation Führung beinahe erset­zen. Sie liefe dann zumindest ein Stück weit von allein. Kooparation ist aber wiederum ein schon lange erlernter, ein evolutionärer Wert. Sie erhält das Gegenüber. Unterwerfung ist nur die Vernichtung. Kein Unterworfener hat jemals etwas zum Fortschritt beigetragen. Warum hätte er es auch tun sollen. Wenn er sich nicht mehr zur Wehr setzen oder weglaufen konnte, dann hat er eben auch nichts mehr für seinen Herrscher getan. Sklavenhaltergesellschaften waren noch nie lebensfähig.
Leistung vs. Verwertung
Etwas leisten dürfen, mehr leisten dürfen als sein Vorgänger, mehr leisten dürfen als sein Nachbar, all das ist ein grund­legender Wert an sich. Er berücksichtigt ein evolutionäres Prinzip. Dem inneren Drang, sich steigern zu wollen, muß die äußere Gelegenheit, sich steigern zu dürfen, beiseite gestellt werden. Diametral dagegen läuft der Verwertungsan­spruch, der auf irgendwelchen alten Rechten beruht, die womöglich noch vererbt sind. Das ist feudales Denken. Das steht jedem Leistungswillen entgegen.
Wohlstand und Wohlergehen vs. Umverteilung
Auf dem Leistungswert beruht auch der innere Wille, stets einen Mehrwert schaffen zu wollen. Und Mehrwert schaffen allein bedingt Wachstum. Letzteres ist allein deswegen nötig, um „Reibungsverluste“ auszugleichen. Der Ausgleich gelingt nicht nur durch Auffüllen eines Verlustes bis zum vorherigen Wert. Er gelingt immer nur durch das Überschreiten des vorherigen Wertes. Wohlstand und Wohlergehen aber gehen einher mit gleichzeitigem Wohlfühlen. Wer das als Wachstum von Glück bezeichnen mag, der soll es gerne tun. Allerdings funktioniert Wachstum nur, wenn der Respekt vor dem anderen und der Schöpfung beachtet wird. Selbstverständlich hat der Wunsch nach einem schönen neuen, viel bunteren Kleid etwas mit Selbstdarstellung und reichlich wenig mit einem „Grundbedürfnis“ zu tun. Das spielt aber keine Rolle, solange das Kleid resourcenschonend und zu guten Löhnen hergestellt wird. Es darf ruhig sehr teuer verkauft werden (die Schornsteine müssen rauchen). Denn der Preis liegt nur im Auge des Käufers – und ist verhandelbar. Wer damit Reichtum erwirbt, der kann ihn gerne behalten. Umverteilung, vor allem die „finanzindustrielle“ Umverteilung aber ist das Umgehen des Wunsches, stets einen Mehrwert schaffen zu wollen (Das was gern als Finanzindustrie dargestellt wird, ist nichts weiter als das Märchen vom Schlaraffenland. Ein Umverteilen, meist nur simples Abluchsen und Stehlen, ohne jeden Mehrwert. Geld kann kein Geld schöpfen. Es kann nur von einer Tasche in die nächste „wandern“).

Beispiele für die „praktische Anwendung“ des Wertekanons

Beispiel 1: Ausdruck des Strebens nach Mehrwert ist zum Beispiel ein Steuersystem, das Mehrwert belohnt (und wenig besteuert). Das Steuersystem ist ungeeignet als Instrument eines nachträglichen Gerechtigkeitsausgleiches. Gerechte Verteilung erfolgt vorher, beim Schaffen des Mehrwertes, durch gute Löhne.
Beispiel 2: Jedes Produkt sollte eine Zulassung erhalten, wie heute auch nach Sicherheit etc., aber auch nach folgenden Kriterien: Es muß leistungsgerechte Löhne „produziert“ haben und es muß in seiner kompletten Herstellungsbilanz resourcenschonend und wiederverwertbar sein. Damit ist es egal, wo und unter welchen Voraussetzungen es hergestellt wurde. Genügt es den Anforderungen nicht, ist es schlecht. Wäre das dirigistisch? Ja, aber man kann auch sagen: so sieht Führung aus, so sieht Orientierung an einem Wertekanon aus. Freiheit ist eben doch nur die einmalige Gelegenheit, sich selbst disziplinieren zu dürfen Wer diese Gelegenheit nicht nutzt, für den besorgen das im zweiten Anlauf eben andere.
Beispiel 3: Gibt es individuelle Unterschiede in der Leistung? Ja. Ist das schlimm und muß man da gegensteuern? Nein. Es kommt auf die Bandbreite an, nicht auf „alles ist, alle sind gleich“. Um die Bandbreite zu definieren, anzupassen und zu bewahren bedarf es politischer Führung.
Beispiel 4:Wäre das Ende des Kapitalismus gleich mit dem Ende des Geldes? Nein. Kapitalismus ist nur eine Variation von Feudalismus oder Kolonialismus. Er hat mit der Erfindung und der Bedeutung des Geldes gar nichts zu tun. Kapitalismus würde auch mit Kaugummis genauso ablaufen wie jetzt. Kapitalismus kennt Geld gar nicht – außer OPM (Other Peoples Money, Das Geld anderer Leute). Geld als Idee und Steuerungselement ist aber weitaus mehr. Und Verzinsung von Geld (als Kredit oder Anlage) ist auch in Ordnung, solange Leistungen und das Schaffen von Mehrwert dahinterstehen.
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im März 2013

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