Sonntag, 9. März 2014

Wachstum und bürgerliche Veränderungssperre

Ein polemischer Kommentar

Ein Wesenszug der bürgerlichen „Kultur“ ist ihr Konservatismus. Die Bürgerlichen reden dann davon, das Bewährte zu erhalten, um Neues darauf aufzubauen. Nun könnte es aber auch so sein, daß das Neue eine neue Basis bräuchte. Und was machen die Bürgerlichen dann?
Nun, sie machen das, was sie immer machen: sie belegen das Universum mit einer Veränderungssperre, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Dann sind sie mit einer neuen Idee auch schon fertig, ohne sich der Mühe unterziehen zu müssen, über diese auch nur ernsthaft nachzudenken.
Zu allem Überfluß aber meinen sie weiterhin, die wirtschaftliche Entwicklung mit einem Wachstumszwang versehen zu müssen. Ohne dieses aufgesetzte, aufgepreßte Wachstum würde sonst ihre ganze Wesensgrundlage wegfallen.
Originäres wirtschaftliches Wachstum erfolgt aber nur bei ständiger Modernisierung, auch technischer Modernisierung, sprich bei ständiger Veränderung. Wie an anderer Stelle schon gesagt: Veränderungen finden einfach nur statt. Sie ereignen sich, weil sie es können. Es gibt keinen Vorlauf und keinen Nachlauf. Es gibt keine Übergangsphasen. Es gibt keine Ankündigung. Wer aktiv teilhaben will, kann sie nur antizipieren, geistig vorwegnehmen. Dennoch wacht er eines Tages auf – und die Welt ist eine andere. Wenn er liegen bleibt, lebt er sein Leben zu Ende. Wenn er aufsteht und das Neue annimmt, kann er sein Leben gestalten.
Jeder, der sich mit den Lebenszyklen von Produkten befaßt, erkennt auf einen Blick, daß wirkliches Wachstum nur in einem sehr engen Zeitfenster stattfindet. Der absteigende Teil verläuft (hoffentlich) flach, er sorgt auch weiterhin für Absatz. Aber er liegt schon in der Phase, in der wiederum Neues entstehen muß. Da läßt sich über künstlich erzeugten Wettbewerb oder über Liberalisierung der Märkte soviel diskutieren wie man möchte. Wenn das Wachstumsfenster durchlaufen wurde, dann ist es vorbei mit der Erhaltung des Bewährten.
Ebenso vorbei wie hilflos ist die augenblicklich nervtötende Diskussion über Resourcenschonung und Gerechtigkeit. Beides sind lebenswichtige Elemente des Zusammenlebens der Menschen. Das ist keine Frage. Aber sie haben nichts, aber auch gar nichts gemein mit der Notwendigkeit der ständigen Modernisierung, um überhaupt sinnvolles Wachstum zu ermöglichen.
Das beste Beispiel dafür ist die sogenannte Energiewende. Welch ein Hohn! Nichts von all dem Geschwafel über intelligente Einspeisungssteuerung und über intelligent geregelte Übergangsphasen und noch intelligentere Brückentechnologien führt zu irgendeiner Lösung des Kernproblems: der Speicherung. Und genau derjenige, der dieses Problem löst, der ist auch derjenige, der neues Wachstum durch Richtungsänderung bewirkt. Und der ist es auch, der damit Geld verdient – was er dann auch verdient hat. Aber was passiert tatsächlich: Die Politik der bürgerlichen Mitte wartet auf die Eingebungen der bürgerlichen Märkte. Und alle zusammen warten auf Godot!
Das (Un-)Schöne an der ganzen Sache ist, daß dieses Verhalten mit so ziemlich allen anderen größeren und kleineren Fragen zur Zeit bestens korrespondiert. Staatsschuldenkrise oder demographischer Wandel sind dabei die augenfälligsten Beispiele. Was soll ich um alles in der Welt mit einer Neuverschuldungsbegrenzung von 3%, wenn die auf der Annahme von 5% (in Worten – F Ü N F –) Wachstum basiert, aber nichts weit und breit in Sicht ist, womit die erreicht werden sollen (Und jetzt komme mir bloß keiner mit der sogenannten Finanzindustrie; einer reinen Umverteilungsmaschine, ohne das geringste Wachstumspotential!). Was soll ich mit der Reduzierung von Ausgaben, weil die Bevölkerung ja schrumpft! Liebe Leute, wenn die Bevölkerung schrumpft, dann stirbt sie aus. Der Prozeß geht schneller als ihr gucken könnt! Sparen braucht ihr auf diesem kurzen Stück des Weges dann auch nicht mehr. Aber aufwachen, das solltet ihr vielleicht doch irgendwann einmal. Am besten ganz, ganz schnell!
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im März 2014