Montag, 1. April 2013

Der unternehmende Staat

Die bisherige Diskussion in diesem unserem Lande krankt an zwei wesentlichen Punkten: Erstens erhält sie einen Antagonismus zwischen (privatem) Kapitalismus und (staatsreglementiertem) Sozialismus künstlich aufrecht, ohne auch nur im geringsten erkennbare Lösungsmöglichkeiten oder Alternativen aufzuzeigen. Zweitens wird sie ausschließlich auf abstrakten Grundlagen geführt: diffuses Gerechtigkeitsempfinden anstelle von anerkannten Regelmechanismen, über allem thronende Marktregeln anstelle von Wirkungszusammenhängen. Im Ergebnis existieren nur noch rein theoretisch-physikalisch nachvollziehbare Phänomene: Jedes System hat ganz offenbar eine kleinste Größe, ab der es funktioniert; jedes System hat eine kritische Größe, bei der es auseinanderfällt. Im politischen Raum aber führt dies alles schlichtweg zum Nichtstun. Der Diskurs, der Streit ist dann so sinnvoll wie das Streiten über Mode – sinnlos. Mein Anliegen ist es, eine Lösung zu erarbeiten, die langfristig funktioniert; eine Lösung zu erarbeiten, die ausbaufähig bleibt. Diese Lösung nenne ich den unternehmenden Staat. Doch zuvor noch zwei Bemerkungen.

Die Diskussion um Kapitalismus und Sozialismus jetzt beenden, ich bitte sehr darum!

Der Kapitalismus krankt nicht so sehr an Überbetonung von Gier oder mangelndem Gerechtigkeitssinn, er hat ganz andere Webfehler. Kapitalisten sind zum Beispiel deshalb sehr gerne Kriegsgewinnler und Leichenfledderer (Mergers and Acquisition), weil sie ängstlich, zaghaft und konzeptionsbeschränkt sind.
Deshalb können Kapitalisten nur unter den Bedingungen undemokratischer, starrer Systeme existieren. Sie ertragen die Unsicherheit, die allem Tun in diesem Universum nun einmal zugrundeliegt nicht (Es gibt auch so etwas wie eine politische Quantenmechanik). Deshalb sind sie hochgradig innovationsfeindlich. Sie ergreifen neue Chancen nicht, sie fürchten sie. Jede Veränderung bedeutet für sie nichts als unkalkulierbares Risiko. So war es bei der Einführung der Eisenbahn auch. Die Kapitalisten sprangen erst auf den Zug auf, als dieser schon unterwegs war. So wird es auch künftig sein, wenn zum Beispiel die Autos mit Verbrennungsmotor abgelöst werden müssen. Dazu bräuchte man nämlich Risikokapital. Und das kennt der Kapitalist nicht. Der kennt nur sichere Renditen im Altbewährten. Auch aus diesem Grunde stürzen sich Kapitalisten gern auf Bereiche wie die Energieversorgung.
Zu dem Beispiel der Energieversorgung noch zwei Nebensätze: Der in den letzten Jahren hier eingeführte Wettbewerb zwischen Stromanbietern ist nur ein Potemkinsches Dorf. Das sind nur Marketingmaßnahmen, um jeden Kunden erreichen zu können. Das Standardmodell im Lebensmitteleinzelhandel dazu heißt ABC-Markenstrategie. Zweitens: Alles was im Energiesektor Anfangsinvestitionen und Erhaltungsinvestitionen (Stichwort „Netze“) erfordert, liegt dabei außerhalb des kapitalistischen Interesses.
Im übrigen ändern auch die fälschlicherweise Investoren genannten Investmentbanker daran nichts. Das sind nur Hasardeure beziehungsweise (in den 1920er und 1930er Jahren in den USA so genannt) Raubritter. Sie schaffen keine neuen Werte und sie bringen auch keine neuen Technologien voran. Sie verteilen nur um.
Und noch ein Satz zum Auswendiglernen: Wettbewerb ist der Vorgang mit dem Ziel, sich am Ende selbst abzuschaffen. Kurz: Jeder Wettbewerb führt zwangsläufig zum  Monopol. Jeder unnötige, künstlich installierte Wettbewerb führt schneller dahin. Dafür aber nicht so auffällig.
Der Sozialismus hat dagegen ein ganz anderes Manko. Er ist keineswegs nur zu behäbig und reaktionsträge. Er postuliert nicht nur Grundbedürfnisse, auf deren Erfüllung es allein ankomme (Das ist, ganz ehrlich, der größte Quatsch aller Zeiten. Produkte, die Freude machen, sind grundsätzlich gute Produkte. Freude zu empfinden ist Bestandteil des Wohlergehens und Wohlfühlens jedes einzelnen. Nur kann eine ganze Volkswirtschaft nicht auf Klingeltönen basieren). Der Sozialismus ist vor allem nicht austauschfähig. Man kann mit ihm nicht wechselwirken. Wie der Kapitalismus auch, braucht er eine starre Umgebung. Selbst wenn man bestimmte Bereiche, auch nicht als glühendster Marktradikaler, nicht dem „freien Spiel der Kräfte“ aussetzen will, zum Beispiel Trinkwasser, so ist die sozialistische Zwangsbewirtschaftung und Zuteilung nicht die adäquate Antwort.
Die augenblickliche, die öffentliche, die bürgerliche Reaktion ist genau das: Reaktion, Restauration, Rückschritt, Wiederherstellung einer Feudalwirtschaft mit Konzentration von Boden, Produktionsmitteln, Energie, Wasser und Lebensmitteln in der Hand weniger, mit Unfreien und mit Bürgerlichen, die für die wirklich Mächtigen die Hofnarren geben.
Mir dagegen ist an einer fortschrittlichen, erweiterbaren und dauerhaften Alternative gelegen.

Der unternehmende Staat

Früher gab es ab und an weise Könige, die ihre Untertanen in die richtige Richtung brachten. Sie führten. Nun, in einer Demokratie, und die behalten wir doch besser bei, kann man das auf seinen Staat (leihweise) übertragen. Wobei es in diesem Aufsatz nur um die technische Funktionsweise geht. Die innere Verfassung ist ein eigenes Aufsatzthema.
Mein unternehmender Staat gibt mehr als nur Hilfestellung, er macht mehr, als nur Leitplanken in die Landschaft einzuziehen. Er ist das Instrument der Führung der staatlichen Gemeinschaft. Aber er ist eben nur ihr Werkzeug.
Mein unternehmender Staat lebt ausschließlich von dem, was sein Unternehmertum hervorbringt. Er lebt ausschließlich vom Mehrwert, in der Praxis also von der Mehrwertsteuer, die auch keineswegs großartig wachsen muß. Und mehr bekommt er auch nicht, auch nicht durch noch so ausgefallene Steuerideen. Daher kann er nur in einer industriellen Form existieren (Finanzdienstleistungsgesellschaften können das nicht, da sie nur umverteilen). Und er braucht Wachstum. Aber auch hier ist an dieser Stelle nur von der technischen Funktionsweise die Rede. Auch hier ist die Ausformulierung des Wertekanons ein eigenes Aufsatzthema (Art des Wachstums und der Gradient).
Mein unternehmender Staat ist ein schlanker Staat. Er kann nicht Lebensgrundlage an sich sein, wie der Staat es augenblicklich für die Staatsbürger ist, die ja nur deshalb so heißen, weil sie aus dem Staat heraus leben, ohne etwas zum Mehrwert beizutragen.
So ganz nebenher erwähnt: der aktuelle Zustand läßt einen Übergang zu einem neuen Staat nur durch eine Art Insolvenzplanverfahren in Eigenverantwortung zu. Der augenblickliche Zustand hat durchaus etwas ausgeprägt Konkurshaftes.
Noch ein wichtiger Hinweis: Nicht gemeint ist ein Staat, der nur gesetzliche Rahmenbedingungen schafft, um Privatunternehmen Einkunftsmöglichkeiten zu schaffen, die diese sonst nicht hätten. Zum Beispiel, wenn für die elektronische Steuererklärung in der „Vollversion“ von den Nutzern Kartenleser und Zertifikate sowie sonstige Software gekauft werden müssen. Solche „Unternehmungen“ haben den Charakter des Zehnten oder adeliger Jagdrechte im Mittelalter, wie viele der augenblicklichen Privatisierungsbestrebungen auch, zum Beispiel zum Thema „Wasser“. Solche Leistungen seiner Verwaltung hat der Staat selbst zu erbringen, dafür erhält er Steuern.

Die Funktionsweise des unternehmenden Staates

Der unternehmende Staat funktioniert wie „Mister 51%“. Er ist aktiver Marktteilnehmer. Jeder ist aber gleichzeitig eingeladen, ja aufgefordert, sich bei (neuen) Unternehmungen, sagen wir einmal beim Umbau der Energieversorgung, einzubringen. Einbringen heißt, von Anfang an das Risiko mitzutragen.
Da genau dies aber nicht funktioniert (in diesem Sinne sind Investoren eben auch nur Menschen), geht mein unternehmender Staat halt voran. Er trägt das Anfangsrisiko. Und deshalb erhält er auch das größte Stück vom Kuchen. Und falls später jemand einsteigen möchte, so ist er willkommen. Er kann sogar die Mehrheit erwerben. Aber eben nur erwerben, nicht geschenkt bekommen, weil „Privat vor Staat“ oder so ähnlich. Und er darf gerne das Anfangsrisiko, daß er ja nicht hat tragen wollen, nachträglich kräftig ausgleichen. Will er das alles nicht, nun, dann ist er eben Minderheitsgesellschafter. Ist ja auch ganz schön, wenn er mitarbeitet, also Leistung erbringt, die es wert ist, bezahlt zu werden.
Mein unternehmender Staat macht aber noch etwas ganz besonderes. Er soll ja nicht als Oberkonzern über allem schweben. Daher stützt er sich auf die vielen kleinen Kleinkapitalisten, die in jedem von uns schlummern. Das ist der Genossenschaftsgedanke, der dahinter steckt.
Ein Beispiel mag das verdeutlichen. Bauen wir dazu einfach einmal eine neue Eisenbahnstrecke quer durchs Land und erschließen so ganz nebenbei noch bisher vernachlässigte Räume. Und setzen wir einfach voraus, das sei zu unserem Nutzen und deshalb wollen wir das auch. Und überdies statten wir die Lokomotiven noch mit einem alternativen Antriebskonzept aus, sagen wir einmal mit Brennstoffzellen.
In althergebrachter Art und Weise würden die Bürgerlichen jetzt nach einem Großinvestor suchen, einem, der ihnen alles, auch das Denken und Führen, abnimmt. Nehmen wir einmal an, den finden wir nicht, weil das Risiko einem Investor zu groß ist, und weil das Konsortium, das sich ganz schnell bildet auch ganz schnell wieder auflöst, weil so ein Konsortium für gewöhnlich das Fell des Bären verteilt, bevor dieser erlegt ist.
Mein unternehmender Staat kann nun allein anfangen oder er kann mit seinen Menschen entlang der Strecke zusammen Genossenschaften bilden. Die können dann den Bau durchführen. Sie können auch den Betrieb übernehmen. Müssen sie aber nicht. Sie können später gern (groß-)kapitalistische Teilhaber für den Betrieb suchen, sofern die leistungsfähig sind und sich vor allem leistungswillig zeigen. Und sofern sie einen Ausgleich für das Anfangsinvest leisten.
Auf diese Art und Weise ist ein ständiger Austausch zwischen „Privat“, „Genossenschaftlich Privat“ und „Staat“ möglich. Und genau darauf kommt es mir an. Die Dinge bleiben im Fluß. Nichts führt zu schneller Erstarrung (Alterserstarrung aber gibt es natürlich auch hier wie überall). Und der wesentliche Unterschied zu jetzt ist, die Dinge kommen überhaupt erst einmal in Bewegung. Und genau das macht „Unternehmen“ aus. Eine gutgemeinte Idee in den Sand zu setzen ist bei weitem nicht so schlimm, wie gar keine Ideen zu haben. Und eine Niederlage zu ertragen ist bei weitem nicht so schlimm, wie die Feigheit es erst gar nicht zu versuchen.
Allerdings sind es immer die Menschen, die etwas tun oder lassen. Den Bürger, den kann man dafür nicht mehr gebrauchen. Der hat einfach nichts von dem Esprit und der Tapferkeit, die man beides braucht, um frohgemut durch diese ach so komplizierte Welt zu wandeln.
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im Februar 2013

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