Dabei zeigt die Evolution noch weitere Prinzipien auf, die
für die Leistungserbringung prägend sind. Erstens gibt es ein optimales Tempo
beziehungsweise eine optimale Geschwindigkeitsbandbreite, in der alles abläuft.
Diese korrespondiert mit dem aus der Motivationslehre bekannten Prinzip der ständigen,
leichten Überforderung. Erfolgserlebnisse in kleinen Stufen, häppchenweise.
Daran ändern auch zeitweilige „Spitzendrücke“ von außen nichts. Sehr schnell
kehrt die Evolution wieder zu ihrer „Basisgeschwindigkeit“ zurück.
Zweitens ist es das Experimentieren: Leistung kann auch
einmal auf „blauen Dunst“ hin erbracht werden. Keinerlei Effizienzkriterien
hindern daran, durch Experimentieren das sinnvollste Ergebnis hervorzubringen.
Drittens ist Leistung jederzeit bewertbar. Jedwede Leistung
hat ihren evolutionären Wert. Es gibt keine höchste Stufe, die allein die „Bewertungshoheit“
innehätte. Das ist nachvollziehbar, da sonst „zwischendurch“ keine
Erfolgserlebnisse erzeugt werden würden.
Um zum Punkt zu kommen: Genauso ist der Leistungsbegriff im
Wirtschaften des Menschen anzuwenden. Jede Leistung ist bewertbar, jede Leistung
bedeutet individuellen Mehrwert. Die „Wertschöpfungskette“ hat kein Ende, sie
ist Selbstzweck. Sie dient nur dazu, für jeden darin Leistungserbringung und
persönliche Mehrwertschaffung, persönliches Wachstum zu ermöglichen.
Dazu gehört noch ein weiteres, wesentliches Merkmal
menschlichen Zusammenlebens: Respekt. Er ist der wirkliche „Klebstoff“ der
Gesellschaft der Menschen. Hier ist es der Respekt vor der Leistung, auch vor
der eigenen. Leistung herunterzuspielen, als unwichtig, als schädlich, als
unerwünschten Kostenfaktor zu betrachten, ist die Verweigerung von Respekt. Und
damit die Leugnung jeden Rechts. Nur zur Erinnerung: Den Zustand ohne Respekt
und damit ohne Recht, den nennt man Krieg.
Ja, aber: Es gibt doch wichtigere und unwichtigere
Leistungsarten, oder? Sind Autos als Wirtschaftsgut nicht wichtiger als Musik
oder Unterhaltung? Nein, sind sie nicht. Sie haben bestenfalls einen
vorübergehenden Vorrang. Zum Beispiel in dem Falle, in dem wir uns
entschlössen, den Verbrennungsmotor binnen kurzer Zeit abzulösen. Dann hätten
wir ein Projekt, das „durchgezogen“ werden müßte. Da hören wir dann kurzzeitig
halt etwas weniger Musik. Das wäre es dann aber auch gewesen.
Ja, aber: Man kann doch zum Beispiel die Altenpflege und die
Kindererziehung nicht genauso bewerten wie die Produktion, oder? Doch, kann
man, muß man sogar. Nur was bewertet ist, ist auch vergleichbar. Und ohne
Vergleichbarkeit läuft bei uns Menschen nichts. Abgesehen davon verändern sich
die Maßstäbe laufend, sie sind unscharf. Viel wichtiger aber ist, daß die
Leistunsgerbringer in Altenpflege und Kindererziehung, um in diesen beiden Beispielen
zu bleiben, ihren ganz persönlichen Mehrwert schaffen können, der sie zu noch mehr
Leistung motiviert. Das joviale Schulterklopfen für die Ehrenamtlichen ist kein
Ersatz.
Carpe Diem heißt sowohl „Nütze den Tag“ als auch „Genieße
den Tag“. Leistung und persönlicher Erfolg aus der Leistung sind Sinn und Zweck
des Wirtschaftens, des Mehrwertschaffens, des Wachstums. Und der Erfolg hängt
nun einmal zu einem sehr guten Teil – ich möchte sagen zum überwiegenden Teil –
vom Lohn ab. So einfach ist das. „Nütze“ und „Genieße“ sind zwei Seiten
derselben Medaille. Leistungswille und Freude am Erfolg sind ein und dasselbe.
Und wo ist jetzt der Unterschied zur bürgerlichen Variante?
Immer noch nicht klar? Gut, dann langsam und in Blockbuchstaben: Der Bürger
betrachtet sich als das Ende der Evolution. Er ist der Meinung, die höchste
Stufe erreicht zu haben. Alle anderen dienten nur zu seinem Nutzen. Damit er
das selber glaubt, hat er ein göttliches Sendungsbewußtsein entwickelt. Und er
hat ein mechanistisches Gebilde für Politik und Wirtschaft dazugestellt, den
Kapitalismus. Beides fast er dann zusammen in „Die protestantische Ethik …“ usw.
usw., um nur eines der bekanntesten Beispiele aus dem bürgerlichen Märchenbuch
zu nennen (zur Erinnerung: Das Märchen vom Schlaraffenland heißt heute
Finanzindustrie). Er hat doch schließlich seinem Vorgänger, dem Feudalherrn,
das Eigentumsrecht abgetrotzt, ohne zu hinterfragen, woher der es denn hatte.
Das muß doch belohnt werden, oder?
Erstens ist das alles schon eine Weile her – und die
Evolution steht ja nicht still. Und Zweitens übersieht er dabei zwei wichtige
Dinge: Erstens negiert er den Leistungsbegriff überhaupt. Ja, er fürchtet Leistung
sogar. Mehr Leistung von „unten“ gefährdet seine „Spitzenposition“. Und
zweitens ist er nur ein Klon des Feudalherrn. Und Klone sind nun einmal recht
anfällige Geschöpfe. Der Bürger ist mit dieser geistigen Grundausstattung in
eine Sackgasse der politischen und menschlichen Evolution gelaufen. Darin irrt
er jetzt herum. Lassen wir ihn in Frieden aussterben.
Peter Rudolf Knudsen, Westfalen im Januar 2014
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